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Auf einer Bremer World Wide Baustelle

■ „Da steht's drin“: Wie eine große Bremer Tageszeitung Online geht

Dieser Slogan muß ein Relikt aus vergangenen Tagen sein. „Da steht's drin“ und „Jetzt kaufen“ heißt er und wirbt für „Weser-Kurier/Bremer Nachrichten“, die, na ja, andere große Tageszeitung dieser Stadt. Hört man sich um in der Gegend, so muß die Zahl der Menschen rapide wachsen, die auf den Slogan nur die Frage „Wo denn?“ als Antwort übrig haben. Doch zum Glück gibt es die andere Bremer Zeitung jetzt auch im Internet. Vielleicht, so die Hoffnung, steht's da ja drin.

Unter dem Logo „Weser-Kurier ONLINE“ (Adresse http://www.weser-kurier.de) ist das Blatt seit wenigen Monaten auch „im Netz der Netze“ zu finden. Als Juniorpartner der Oldenburger Nordwest-Zeitung betreibt sein Herausgeber, die Bremer Tageszeitung AG, das „NWN“ alias „nordwest.net“ und bewarb den Schrit ins Netz seinerzeit als Innovation. Zu haben sind da Speicherplätze für Homepages der AbonnentInnen der Zeitung, Kleinanzeigen oder eben auch ein digitaler Zeitungsableger.

Mit Zeitungen im Netz ist das so eine Sache, aber vor allem die in die Fremde ausgewanderten BürgerInnen einer Stadt freuen sich über virtuelle Nachrichten aus ihrer Heimat. Nicht erst nach einjähriger Erfahrung mit der taz bremen im Internet (täglich mit allen Texten unter http://www.taz.de) ist das nachweisbar. Doch jetzt belebt Konkurrenz das Geschäft, und Exil-BremerInnen zwischen Vancouver und Umtata können sehen, wie sich Bremen in der „Da steht's drin“-Version macht. Zum Beispiel an einem kreuzgewöhnlichen Sonntag, sagen wir mal am 21. Juni 1998.

Der erste Eindruck ist nicht ganz unangenehm: Die Ladezeit wird nicht durch einen Wust von Anzeigen, Bildern oder Cookies verlängert. Nur ein Inserat titelt etwas kryptisch „Katzen und Urlaub“, was wohlmöglich ein Problem ist, für das der Inserent wohlmöglich eine Lösung anbietet. „Weser-Kurier ONLINE“ kommt ansonsten gleich zur Sache mit einer von Zeitungen vertrauten Meldungsspalte auf der linken Seite, einer Rubrikenliste rechts und als Links zu Artikeln ausgewiesenen Schlagzeilen in der Mitte.

„Palästinenser-Autonomieregierung ohne Hamas“ heißt die erste und „Sanktionen gegen Indien und Pakistan“ die zweite. Man muß – gerade in Bremen – auch mal über den Tellerrand gucken, haben sich die GestalterInnen dieser Seite bestimmt gedacht. Doch ist das mit der Hamas und den Sanktionen nicht schon ein Weilchen her? Stand das am Samstag in der Zeitung oder schon am Samstag davor oder gar an einem Mittwoch im Mai? Egal, ein guter Text kennt keine Halbwertszeit – ein Klick und dann noch einer, und schon stehen sie beide da. Allein sie stammen von keiner „Weser-Kurier“-Edelfeder, sondern von der Agentur dpa. Egal, die KollegInnen können ja auch nicht überall in der Welt ihre Leute haben. Vielleicht sind die RedakteurInnen ja zum WM-gucken in Frankreich.

Unter der nämlichen Rubrik wird da neben vier weiteren Schlagzeilen Aufklärung über „Berti als Taktik-Tüftler“ oder über einen „Streithansel und Fußball-Feldherrn“ geboten. Doch wieder informiert – Sie ahnen es – die gute alte Tante dpa. Nur Sportchef Heinz Fricke bereichert das World Wide Web an diesem Surfersonntag mit einer Folge aus seinem WM-Tagebuch und einem Spielerportrait. Aber auch das macht nichts, schließlich suchen wir Bremen in „Weser-Kurier ONLINE“.

Doch Bremen ist zunächst nicht auffindbar. Erst nach einer Weile entdeckt der Surfer das Wort „Bremen“ in einer aufklappbaren Liste, hinter der sich die regionalen Verlagszeugnisse von „Die Norddeutsche“ bis „Verdener Nachrichten“ verbergen. Nur die Netz-Ableger dieser Regionalausgaben tragen mit „eigenen Berichten“ wie über die Preiserhöhung im Weyher Freibad zum „nordwest-net“ bei. Doch die aktuelle Seite – die mit Hamas und dem guten Draht zur dpa – ist schon die Bremen-Seite!

Und es bleibt die Bremen-Seite! Nach einem erneuten Besuch am nächsten Tag sind nur die WM-Schlagzeilen aktualisiert. Doch noch immer sieht die Online-Fassung dieser Tageszeitung aus wie am Tag zuvor. Und noch immer verhängt – wer auch immer – „Sanktionen gegen Indien und Pakistan“. Mit Ausnahme Heinz Frickes oder eines Kommentars des Bonner Weser-Kurier-Korrespondenten bleibt die Suche nach Texten der KollegInnen von der Konkurrenz vergeblich.

Gewiß haben die SeitengestalterInnen den ohnehin lästigen Hinweis „under construction“ für unfertige Webpages vergessen. Oder vielleicht traut der Verlag seinen eigenen AutorInnen nicht über den Weg. Oder verhindert der Betriebsrat eine echte Version von „Weser-Kurier ONLINE“? Oder besteht die Innovation genau darin, daß nichts mehr drin steht, wo „da steht's drin“ draufsteht? Auf der Suche nach Antwort und vor allem nach Bremen wird der Surfer doch noch fündig. Tief in einer Rubrik namens Magazin verschwunden erfährt er, daß der Bremer Fallturm mit einem Katapult ausgestattet wird. Es berichtet – wieder ahnen Sie es – dpa.

ck

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