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Schöne Grüße an die Herren Vermarkter

■ Schwer wie alter Bordeaux: Die Ausstellung „Kamikaze“ im Marstall will aus dem Berliner Kunst-Mainstream ausscheren – und empfiehlt sich doch den üblichen Kuratoren und Galerien

Es ist gar keine Taube. Der Bronzevogel, mit dem noch zu DDR-Zeiten für „Berlin – Stadt des Friedens“ geworben wurde, sieht wie ein hackschnabeliger Falke aus. Die seltsam mißglückte Relieffigur ist an der gegenüberliegenden Hauswand zum Marstall angebracht, man sieht sie von einem der hohen Fenster im hintersten Raum. Dort hat Monica Bonvicini „2 Tonnen Alte Nationalgalerie“ aufgeschüttet. Der Hügel aus Bausand, Putzstaub und Backsteinen stammt vom Umbau der Museumsinsel, und er soll, so die in Berlin lebende italienische Künstlerin, den Prozeß spiegeln, der mit dem Mauerfall losgetreten wurde: Historische Flächen werden umgemodelt, als Immobilien verscherbelt, ausgelöscht.

Der Schutt als Denkmal gegen eine begradigte Geschichte? Auf keinen Fall möchte Monica Bonvicini mit ihrer Aktion in die Holocaust-Debatte eingreifen – auch wenn erst vor einem halben Jahr die Mahnmalsentwürfe von Serra/ Eisenman und Daniel Libeskind an gleicher Stelle zu sehen waren.

Mahnmal und Mauerschutt – eine unglückliche Konstellation. Sie paßt in das widersprüchliche Konzept der Ausstellung „Kamikaze“, an der zehn KünstlerInnen aus neun Ländern beteiligt sind. Was als eigensinniges Projekt in Sachen Nonkonformismus und Künstlerautonomie angedacht war, sieht in den Museumsräumen wie Museumskunst aus. Auf einer überdimensionalen Videowand von Johannes Kahrs wälzt sich ein verblutender Gangster aus Tarantinos „Reservoir Dogs“ und brüllt „I'm fucking dying“; in Sarah Caracis Video explodiert alle paar Minuten eine Unterwasserbombe; und bei Gunda Förster rasen in großen Formaten an die Wände projizierte Dias vorbei, auf denen sich verschwommene Gesichter mit traurigen Worten wie „Augenblick – Lüge – Lust“ abwechseln. Försters „Variationen des Zufalls“ sind präzis montierte Medienkunst und klagende Bilderflut zugleich, doch neben Philippe Mestes gefälschtem Kriegsreport vom Flohmarkt in Marseille wirkt ihr Sendbotenbewußtsein schwer wie ein alter Bordeaux. Erst kommt der Rausch, dann die Lähmung.

Dabei soll der Mix aus Verzweiflung und Aggression das Publikum gar nicht erschlagen, sondern vor allem die Berliner Institutionskungelei kritisieren. Vor der Eröffnung kursierten bereits Flugblätter über den revolutionären Charakter der Veranstaltung. Man wollte mit dem Zusammenschluß ein Zeichen gegen die „herkömmliche Ausstellungspraxis“ setzen, die „Vermarktungsfirma Kunstbetrieb“ geißeln und überhaupt bewegen, verändern, motivieren – ein willkommenes Manifest fürs nächste Jahrtausend, das wohl auch Peter Radunski unterschrieben hätte. Zumindest wurde die als unabhängig angekündigte Ausstellung von so ziemlich jeder Kultureinrichtung gefördert, die etwas auf ambitionierte Künstlerprojekte hält – Senat, British Council, Institute Française inklusive. Selbst die Danksagungen reichen von etablierten Kritikern und den üblichen Galerien bis zu Pop-Rappern wie A Tribe Called Quest.

Daß sich nicht alle Beteiligten an die gemeinsame Marschrichtung gehalten haben, gehört vielleicht auch zu dem Konzept, bloß keinen Mainstream aus Minderheiten zu bilden. Weil Olav Westphalen den als Faltblatt gedruckten Posterkatalog zu naiv fand, hat er ein Gegenplakat drucken lassen, auf dem er sich über die politische Sorglosigkeit seiner Mitstreiter lustig macht. Doch auch in den anderen Arbeiten zerfällt die angestrebte Antihaltung des Künstlerkollektivs in lauter Einzelpositionen: Lisa Anne Auerbachs Auto- Crash-Fotos wirken in ihrer kleinen Sofa-Ecke dekorativ, aber keineswegs bösartig, und der Glitter, den Liam Gillick über den Boden verstreut hat, bleibt eher lästig an den Schuhen kleben. Was gut ist, tritt sich fest. Vor der Tür liegt allerdings die nächste Fußmatte bereit. Harald Fricke

Bis 19. Juli, Di.–Fr. 14–19, Sa. 12–17 Uhr, Marstall, Schloßplatz 7

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