Ausverkauf von billigem Wohnraum

Der Bund verkauft 112.600 Wohnungen aus altem Bundesbahnbesitz für sieben Milliarden Mark an Bietergemeinschaft. Mieterbund beklagt Privatisierungswut, die auf Dauer nur höhere Mieten bringe  ■ Von Matthias Urbach

Berlin (taz) – 112.600 Mieter von Eisenbahnwohnungen werden sich an neue Vermieter gewöhnen müssen. Denn die Bundesregierung hat die Wohnungen aus dem alten Bundesbahnvermögen für 7,1 Milliarden Mark verkauft an eine Bietergemeinschaft aus zehn privaten und kommunalen Wohnungsgesellschaften. Das verlautete gestern aus dem Bundesverkehrsministerium.

Zum Schutz der Mieter – überwiegend aktuelle oder ehemalige Beschäftigte der Bahn – vor den neuen Besitzern schloß das Ministerium mit der Bahngewerkschaft eine Wohnungsfürsorge-Vereinbarung. Sie garantiert ein Wohnrecht auf Lebenszeit, den Ausschluß von Eigenbedarfskündigungen und eine Obergrenze der Miterhöhung auf jährlich drei Prozent plus Inflation für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre.

Dies sei eine deutliche Verbesserung der Mietverhältnisse, wirbt Matthias Wissmanns Ministerium für die Privatisierung. „Das ist Quatsch“, antwortet der Sprecher der Eisenbahngewerkschaft, Hubert Kummer. Im Besitz des Staates wäre der Mieterschutz eher zu gewährleisten, schon weil die Gewerkschaft dann Einfluß habe.

Das was nun an Mieterschutz vorgesehen sei, habe die Gewerkschaft gegen den Bund erstritten, sagt Kummer. „Wir haben so viel wie möglich herausgeholt.“ Glücklich über die Privatisierung ist man deshalb noch lange nicht. Allerdings räumen auch die Gewerkschafter ein, daß es die Bundesregierung in den vergangenen Jahren schon nicht mehr so genau mit dem Mieterschutz genommen hat. Auch im Hinblick auf den geplanten Verkauf, hatte der Bund versucht, die ursprünglich spottbilligen Wohnungsmieten an den Mietspiegel anzugleichen.

Schärfer noch als die Eisenbahner reagierte der Deutsche Mieterbund: Direktor Franz-Georg Rips sprach von einem Ausverkauf öffentlich kontrollierter Wohnungen, von einer „Privatisierungswut“ der Bundesregierung. „Die vereinbarten Mieterschutzvorschriften“, so Rips, „bieten allenfalls einen Schutz auf Zeit.“ So gingen auf Dauer auch diese Häuser als billiger Wohnraum verloren. Dabei schrumpft der Bestand an Sozialwohnungen ohnehin: In den vergangenen zehn Jahren halbierte sich ihre Zahl von 4 auf 1,9 Millionen, schätzt der Mieterbund.

Besonders stört die Mieterschützer, daß unter den zehn Gesellschaften, die unter Führung der Landesentwicklungsgesellschaft Baden-Baden auftreten, auch eine Reihe von Privaten sind. Die hätten eine klare Profitorientierung und würden so bald wie möglich die Mieten anziehen lassen. So entstehe ein „Zwei-Klassen-Mietrecht in Eisenbahnerwohnungen“.