Mit Besen, Stock und Spaghettigabel

■ Projekt mit Modellcharakter: MusikerInnen der Kunsthochschule führen heute Stockhausens „Mikrophonie I“ auf

Für einen Moment sprachlos werden“, wünschte Karlheinz Stockhausen 1965 den InterpretInnen seiner „Mikrophonie I“ für Tamtam, zwei Mikrophone, zwei Filter und Regler. Und er wünschte sich weiter, „daß Komponist und Hörer im Erlebnis bisher unbekannter und ungestalteter musikalischer Prozesse sich selbst und ihre Welt auf neue Weise erfahren“. Nicht in allen Stücken hat Stockhausen eine solche Idee so stringent in eine kompositorische Konzeption überführen können wie in „Mikrophonie I“. Damit ist das Stück eine Riesenherausforderung ans musikalische Machen und Empfinden überhaupt, der sich heute abend sechs MusikerInnen der Hochschule für Musik stellen.

Lilian van Haußen, sonst Blockflötenspielerin, und Serge Baghdassarians, sonst Gitarrist, stehen am riesigen Tamtam mit seinen überwältigenden Resonanzen und müssen Geräusche nach verbalen Anweisungen erzeugen: Bellend, jaulend, flirrend, schnarchend, ächzend, quakend, tutend, zirpend ist da u.a. gefordert. Das Geräuschspektrum scheint unendlich. Lilian von Haußen: „Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wir haben vom Plastiktöpfchen über Eisenschrauben, über Papprollen und Glas, über Besen und Stöcke alles mobilisiert, was uns eingefallen ist, und das ausprobiert. Eine Spaghettigabel ist auch dabei“. „Wobei man beachten muß, daß die Vorgaben von Stockhausen sehr genau sind“, ergänzt Christoph Ogiermann. „Diese sprachliche Beschreibung der Klänge steht sehr genau in der Nachfolge des Bruitisten Luigi Russolo, es ist in diesem Sinne eine wirkliche ,musique concrète'“, erklärt Georges Wolff, der ebenso wie Christoph Ogiermann am Regler sitzt.

Sind die Klänge erzeugt, werden sie von den zwei Mikrophonisten abgenommen: Lars Scherzberg, sonst Gitarrist, und Antonia Dorner, sonst Querflötistin. „Auch dies geschieht nach einer genauen Partitur, wie weit weg und wie nah und in welchem Tempo wir diese Mikros halten“, sagt Lars Scherzberg; „das schwierigste ist für diesen Part, daß er nicht hörbar aktiv ist, denn auf das, was am Ende dann über die Filter und Regler herauskommt, haben wir zumindest keinen aktiven Einfluß“. Da sitzen dann Christoph Ogiermann, sonst Komponist, und Georges Nicolas Wolff, sonst Lehrbeauftragter für Musikwissenschaft, die sich für diese Aufführung die 33 Jahre alten, noch handgemachten Geräte vom NDR geliehen haben. In der Probe sind sie unglücklich: „Das geht so nicht, wir sind zu leise.“ Denn exakt muß ein Gleichgewicht zwischen Tonerzeugung, Tonabnahme und Transformation hergestellt werden: „Man darf am Ende nicht mehr unterscheiden zwischen den Klangquellen“, so Christoph Ogiermann.

Serge und Lilian kriegen von den Transformationen nichts mit, Antonia und Lars können ihre Ergebnisse nicht kontrollieren, und Georges und Christoph sind abhängig von den Vorgaben: Eine solche Art, Musik zu machen, hat weniger mit traditionellem Üben zu tun als vielmehr mit Einlassen und Erfahrung, was in diesem Fall ein ganzes Jahr gedauert hat: „Das kann man nur ganz von innen heraus“, sagt Lilian, und Serge meint, er habe „noch nie so viel Energie in ein Projekt gesteckt“. Der (un)pädagogische Ansatz, den Georges Wolff damit verbindet, widerspricht diametral den Gepflogenheiten an deutschen Musikhochschulen. „Diese einem Analyseseminar entwachsene Aufführung hat für mich Modellcharakter. Ich finde es schlimm, theoretisch Probleme zu lernen und zu erörtern, die man gar nicht hat. An dieser Aufführung können sich alle in ein unbekanntes Gebiet begeben.“ Heute abend um 20 Uhr im Konzertsaal der Hochschule wird das Publikum mit Stockhausens „Mikrophonie I“ auf die Reise ins Unbekannte mitgenommen: ein Ereignis in Bremen.

Ute Schalz-Laurenze

Heute, 26. Juni, 20 Uhr, Hochschule für Künste, Dechanatstraße