Nur Arbeitslosigkeit verbindet

■ Das Aktionsbündnis Erwerbslosenproteste kämpft trotz ständigem Aktivistenschwund wacker weiter. Größtes Problem ist, Arbeitslose von Bierdose und Fernseher wegzuholen

„Dit is' ja wie beim Psychiater hier“, raunzt eine Frau mit geblümten Rock. Michael Klockmann, der heute die Moderation übernimmt, bittet die Erschienenen, im Stuhlkreis Platz zu nehmen. Ein Mann mit Lederweste schlurft herein und begrüßt seine Kumpel per Handschlag. 34 Leute sind trotz Sonnenschein in den mit Neonlicht fahl beleuchteten Saal gekommen. Bei der bunt zusammengewürfelten Truppe handelt es sich um das „Aktionsbündnis Erwerbslosenproteste“, das sich jeden Montag um 16 Uhr im Haus der Demokratie trifft.

Mit süddeutschem Akzent liest ein junger Mann aus der Bild- Zeitung das Wahlprogramm von Gerhard Schröder vor. Jedes Treffen beginnt mit einer Presseschau. „Weniger Sozialhilfe für Faule“, wie die Bild-Zeitung schreibt, erntet Gejohle. „Freier Blick aufs Mittelmeer“ kontert eine Frau im Jeanshemd.

Eine Mappe mit Fotos von Menschen in Müllsäcken wird herumgereicht: Nachbereitung der letzten Aktion. Wieder waren zu wenige gekommen. Dabei sollte die Müllsackverkleidung nicht nur die Medien anziehen, sondern auch endlich mehr Arbeitslose anwerben. Mit Schrubbern bewaffnet waren sie vor dem Roten Rathaus zum „Arbeitslosengelöbnis“ aufmarschiert. Die Aktion sei „eher nach innen als nach außen ein Erfolg“ gewesen, formuliert es Peter Grottian vorsichtig. Der Politikwissenschaftler steht der Erwerbsloseninitiative seit ihrer Gründung im Januar als Coach zur Seite.

Es ist ein mühsames Geschäft. Wie koordiniert man eine so heterogene Ansammlung von Aktivisten, die einzig die Arbeitslosigkeit verbindet? Den Protesten in Deutschland geht keine jahrelange Basisarbeit voraus wie in Frankreich. Konsens besteht nur über die Forderung nach einem Existenzgeld von 1.500 Mark. Die Organisation hängt an nur etwa 20 Aktiven. Sie haben auch kein Rezept, wie ein größerer Teil der 290.000 Berliner Arbeitslosen dazu bewegt werden könnte, an den Protesten teilzunehmen.

Grottian spricht sich inzwischen für eine Radikalisierung der Aktionen aus. Die Erwerbslosenproteste müßten mehr weh tun, und zwar bevor den Protestlern die Luft ausgeht: Waren zum 1. Aktionstag noch rund 5.000 Leute gekommen, fanden zum „Müll-Gelöbnis“ im Juni nur etwa einhundert Menschen.

Im Haus der Demokratie läßt sich die Planung des nächsten Aktionstages chaotisch an. Die Diskussion verläuft irgendwo zwischen Hörsaal, Stadtteilladen und Bierzelt. Eine dünne Frau quäkt etwas von „gescheiterter 68er-Bewegung“, ein Mann mit Cowboystiefeln wird ruppig unterbrochen, einige stehen vor der Tür und rauchen genervt. Klockmann versucht hilflos, die Diskussionsleitung mit sozialpädagogischen Ermahnungen an sich zu reißen. „Ich seh mich schon mit 'nem Sack Bouletten allein auf der Demo“, stöhnt die Frau im Jeanshemd. Irgendwann einigt man sich doch auf einen Treffpunkt. Auch bei den Aktionsformen soll für jeden was dabeisein. Keinesfalls brav, sondern phantasievoll, radikal und medienwirksam soll alles werden.

Disziplinierter verläuft die Diskussion am Runden Tisch, zu dem sich Vertreter verschiedener Arbeitsloseninitiativen und Gewerkschaften jeden Mittwoch treffen. Einige vom Aktionsbündnis Erwerbslosenproteste, die auch am Montag im Haus der Demokratie waren, sind ebenfalls dabei. Mit verschränkten Armen sitzen gewichtige, pfeiferauchende Gewerkschafter von DGB, ÖTV, IG Metall und IG Medien an den Biertischen im Stadthaus Böcklerpark. Die Tagesordnungspunkte werden routiniert abgearbeitet. Schließlich organisieren sie nicht zum ersten Mal eine Demo. Der Konflikt um unterschiedliche Ziele der beteiligten Initiativen bricht nur kurz auf. Die Arbeitslosen sollten „nicht auch noch den Staat runtermachen, irgendwo is' 'ne Grenze“, meckert Norbert Cultus von Euromarsch über einen Redebeitrag der Erwerbslosen für die Demo. „Wir fühlen uns von den Gewerkschaften im Stich gelassen“, erzählt später Dieter Hoch, arbeitsloser Redakteur. Ob diese sich nach den Wahlen im September überhaupt noch für Aktionstage der Arbeitslosen engagieren werden, sei offen. Das größte Problem sei aber, die isolierten Arbeitslosen von Fernseher und Bierdose wegzuholen.

Die Frau im Jeanshemd hat es aufgegeben, über die fernbleibenden Arbeitslosen frustriert zu sein: „Ich jammer' nicht mehr rum. Wenn die nicht kommen, ist es ihr Problem.“ Kirsten Küppers

Der nächste Aktionstag findet am 7. Juli unter dem Motto „Vom Arbeitsamt zum Sozialamt – kein weiter Weg“ statt. Treffpunkt ist um 10 Uhr am Arbeitsamt Gotlindestraße.