: Zur Typologie des zeitgenössischen Spießers (2): Der neue Mucker Von Joachim Frisch
Es trägt Jeans, besitzt CDs von Bob Dylan und Wolf Maahn und holt sich Döner beim Türken. Natürlich hält er sich nicht für einen Spießer, wegen der Döner und weil er Motorrad fährt, in wilder Ehe lebt, früher gekifft und mit der Anti-AKW- und der Friedensbewegung sympathisiert hat (einmal war er sogar in Brokdorf, behauptet er) und auf dem Wochenmarkt Biogemüse kauft. All das tut ein Spießer nicht, glaubt der neue Mucker.
Inzwischen hat er es zu einem Häuschen im Grünen gebracht, weil er viele Überstunden im Büro gemacht hat, und nun sieht er nicht ein, für diejenigen, die nie Überstunden gemacht haben, etwas abzugeben. So schimpft er über die hohen Steuern und sagt „der Theo“, wenn er über das Finanzamt mault, gerade so, als sei der Bundesfinanzminister ein alter Bekannter, mit dem er nun auf Kriegsfuß stehe, weil dieser ihm sein mühsam Erspartes nicht gönnt. Ein wenig Stolz schwingt auch mit im jovialen „Theo“ des Neo-Muckers, Stolz, in der Welt der Erfolgreichen angelangt zu sein, in der man andere Erfolgreiche duzt, als sei man auf dem Golfplatz. Im tiefsten Inneren hält der neue Mucker es für eine Tugend, wohlhabender zu sein als andere, weil er wohlhabend geworden ist oder daran glaubt, bald wohlhabend zu sein.
Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten, verunsichern den neuen Mucker, Aufsässige, Autonome, Asylbewerber, Hooligans, Kurden, Drogenabhängige, Soziabzocker. Sie alle haben nicht erreicht, was er erreicht hat, und irgenwie wirken sie für den Mucker bedrohlich, auch wenn er sie nur aus dem Fernsehen kennt. Aus zuverlässiger privater Quelle aber kennt er mindestens eine kasachische Familie, die eine höhere Sozialhilfe bezieht als ein deutscher Klempner, den er persönlich kennt und der auch Familie hat, durch harte Arbeit verdient. Natürlich hat der neue Mucker nichts gegen Kasachen, das mit der Sozi geht aber entschieden zu weit, muckt der neue Mucker.
Obwohl er nichts gegen Ausländer hat, erscheinen ihm Asylbewerber nicht ganz koscher. Wer sich nichts zuschulden kommen läßt, der gerät auch nicht in Schwierigkeiten, denkt er oft, wenn er dunkelhäutige, unrasierte Typen vor dem Asylbewerberheim herumstehen sieht. Und er mag die Opfer nicht besonders, jedenfalls wenn es sich um Opfer der Staatsgewalt handelt. So ganz weiße Westen haben die sicher nicht, denkt der neue Mucker, sonst würde die nigerianische, türkische, pakistanische oder jugoslawische Polizei sie nicht einsperren, verschleppen, foltern oder ermorden. Wer tut, was man ihm sagt, der kriegt keine Probleme mit der Obrigkeit, denkt der neue Mucker, Asylbewerber sind deshalb entweder Wirtschaftsflüchtlinge oder Aufmüpfige und Pflichtvergessene, die selbst schuld sind an ihrer Lage, weil sei sich aus den Angelegenheiten ihres Heimatlandes nicht raushalten, denkt der neue Mucker. Er sagt das natürlich nicht.
Noch nicht. Wenn Schröder erst mal Kanzler ist, dann wird er es auch sagen, der neue Mucker, er wird forsch die dumme Gesinnungssau rauslassen, denn es wird keinen Grund mehr geben, seinen Chauvinismus zu kaschieren, weil dieser Chauvinismus sozialdemokratisch geweiht sein wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen