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Die Zähmung der Gefühle

Der Geschlechterkampf hat ein neues Feld gefunden: den Kampf der Mütter und Väter um die Sorge für ihre Kinder. Das am 1. Juli in Kraft tretende neue Kindschaftsrecht versucht, gesellschaftlichen Änderungen Rechnung zu tragen. Ob es größere Gerechtigkeit bewirkt, ist noch offen  ■ Von Barbara Dribbusch

Männer sind Schweine, aber Frauen manchmal auch. Früher tobte der Geschlechterkampf in der Arena der Sexualität: im Spiel um Verführung und Ausbeutung des Körpers. Jetzt hat sich das Schlachtfeld verlagert. Nirgendwo befehden sich Männer und Frauen derzeit so heftig wie im Streit um die Macht über ihre Kinder. Und keine Gerechtigkeitsfrage scheint derzeit so schwer zu beantworten wie diese: Wer hat weniger Macht, Väter oder Mütter? Wer ist das Opfer?

Das neue Kindschaftsrecht und das neue Unterhaltsrecht, die beide am 1. Juli in Kraft treten, versuchen im derzeit komplexesten aller Gerechtigkeitsdiskurse neue Klarheit zu schaffen. Ledige und geschiedene Väter bekommen etwas mehr Rechte, unterhaltsflüchtige Väter werden stärker zur Verantwortung gezogen. Den Vätern reicht das nicht, manchen Müttern geht das schon zu weit.

Zum 1. Juli wollen Väterinitiativen ortsweise mit Handglockengeläut protestieren: Die Tatsache, daß unverheiratete Väter nur dann das gemeinsame Sorgerecht bekommen, wenn die Mütter zustimmen, gilt den Vätern als verfassungswidrig, weil dies die Gleichstellung von Männern und Frauen verletze. Gleichstellung – welche Gleichstellung? fragen die Frauen müde lächelnd und verweisen auf Hunderttausende alleinerziehende Mütter, die sich ohne Berufschancen durch den Erziehungsalltag plagen.

Der neue Gerechtigkeitsdiskurs ist deswegen so emotional aufgeladen, weil darin biologische und wirtschaftliche Macht, Geld und Liebe vergeblich gegeneinander aufgewogen werden. Diese Ebenen überlagern sich, wenn Paare auseinandergehen und sich die Frage eines gerechten „Beziehungsausgleichs“ stellt. Jeder Einzelfall stellt die Gerechtigkeitsfrage neu.

Der Wochenendvater, der sich in wichtige Erziehungsfragen einmischt, sich aber aus den elterlichen Alltagspflichten heraushält: Das ist der Horror vieler Mütter. Die dominante Alleinerziehende, die den Expartner als Goldesel benutzt, ihn aber nicht mehr an das Kind heranlassen will: das Feindbild der getrennten Väter.

Gerechtigkeit wird damit zur Frage des subjektiven Standpunkts. Der Spiegel-Autor Matthias Matussek zieht in seiner Polemik über die „vaterlose Gesellschaft“ über Mütter her, die ihre Exmänner finanziell aussaugen und den Umgang mit dem Nachwuchs vereiteln. Die Mütterlobby kontert mit der geballten Macht der Statistik: Nicht mal zwei Prozent der Väter nehmen Erziehungsurlaub in Anspruch, achtzig Prozent beteiligen sich nicht an den Haushaltsarbeiten. Rund 800.000 Männer in Deutschland zahlen keinen Unterhalt für ihren Nachwuchs.

Wer ist denn nun schützenswerte Minderheit? Hunderttausende alleinerziehender Mütter, denen niemand die Erziehungspflicht abnimmt oder – sagen wir – Tausende von engagierten Vätern, denen die Mütter den Umgang mit dem Kind vermiesen?

Konkret stellt sich die Gerechtigkeitsfrage leider meist erst dann, wenn es paarbiographisch schon zu spät ist. Der Verteilungsstreit um Gefühle, Lebenschancen und Geld wäre im Trennungsfall einfacher zu entscheiden, wenn die Eltern sich von Anfang an ausgewogen an beruflicher und erzieherischer Arbeit beteiligten. Das gemeinsame „Sorgerecht“ entspräche der tatsächlichen gemeinsamen Sorge im Alltag. Bisher ist das die Ausnahme geblieben. „Das Modell gemeinsamer Sorge als Regelfall verleugnet, daß Väter und Mütter vor der Scheidung in aller Regel sehr unterschiedliche Rollen innehatten“, erklärt der Frankfurter Rechtsprofessor Ludwig Salgo.

Die Zeitbombe fängt an zu ticken, wenn die Mutter unwiderruflich auf berufliche Chancen verzichtet, um statt dessen den Nachwuchs zu windeln, zu trösten und spazierenzufahren. Wie viele Väter sind nicht insgeheim froh darüber, wenn die Frau wie selbstverständlich beruflich klein beigibt und zu Hause bleibt! Und wie wenige Väter machen sich klar, daß sie sich damit die Fessel lebenslanger Unterhaltsverpflichtung selbst an die Füße legen. Wer später keinen Unterhalt zahlen will, sollte die Partnerin unter allen Umständen dabei unterstützen, beruflich aktiv zu bleiben, und zwar nicht nur in unterqualifizierten Hilfsjobs.

Gegen die Fiftyfiftyutopie gerechter Arbeitsteilung werden immer die gleichen Begründungen angeführt (“Mein Mann verdient halt mehr“, „Teilzeit geht bei mir nicht“). Die Argumente klingen so vernünftig, wie der spätere Streit um Kind und Geld ins Hysterische entgleiten wird.

Oft geben die Frauen aus freien Stücken einen anstrengenden Beruf auf, um zu Hause zu bleiben. Damit ist der Gerechtigkeitsstreit programmiert: Können entgangene Berufschancen der Frau aufgewogen werden durch Unterhaltszahlungen? Rettet das alleinige Sorgerecht für das Kind die Autonomie der Mutter gegenüber einem wirtschaftlich überlegenen Exmann? Was soll der Mann hergeben dafür, daß er sich aus dem Alltag der Kinderbetreuung heraushalten darf? Oder ist dieser Alltag mit dem Nachwuchs gerade das Beneidenswerte? Der wichtigste Faktor im Streit wird oft übersehen: die Liebe beziehungsweise – in der Trennung – der Haß.

In den sechziger Jahren wurde schuldig geschieden, wer untreu war und eine neue Liebe begann. Die Chancen fürs Sorgerecht standen entsprechend schlechter. Das Schuldprinzip ist abgeschafft, dies hat den Gerechtigkeitsstreit aber nicht versachlicht, sondern in Wahrheit emotionalisiert. Wie soll es eine verlassene Mutter aushalten, wenn der Expartner am Wochenende die Kinder zum Ausflug mit der Neuen mitnimmt – und die Kleinen später zu Hause noch von der „netten“ Frau erzählen? Und wie soll es der Ex verkraften, wenn sich die Mutter wegen eines anderen von ihm trennt, aber die Kinder behalten und weiterhin Unterhalt kassieren will? Obwohl der Neue vielleicht noch kräftig das Haushaltsgeld aufstockt? In den Herzen regiert das Schuldprinzip weiter.

Deshalb ist es müßig, an die Partner zu appellieren, doch „an die Kinder zu denken“ und sich gütlich auseinanderzudividieren. Es liegt in der Tragik einer Trennung, dem emotionalen GAU im Leben zweier Menschen, daß die Expartner erst einmal nur für sich selbst fühlen können. Das Kind muß dabei zwangsläufig zum Objekt werden. „Haß und Rache sind sehr tiefe Gefühle“, sagt der Wiener Psychoanalytiker und Trennungsexperte Helmut Figdor, „da reicht es nicht, ein bißchen Scheidungsberatung zu machen und bestimmte äußere Arrangements zu treffen.“

Aus diesem Grund sind Szenen so alltäglich in Deutschland, in denen sich geschiedene Väter am Männerstammtisch damit brüsten, wie sie ihr Einkommen als Selbständige künstlich klein halten, damit die Ex nur ja nicht zuviel abkassiert. Andererseits gehört es zum Alltag von Tausenden geschiedener Väter, daß das gemeinsame Wochenende mit der Tochter platzt, weil diese lieber zum Kindergeburtstag ihrer Schulfreundin geht und sich die Mutter nicht um alternative Arrangements bemüht. Sie hat halt schon genug mit dem Erziehungsalltag zu tun.

Mehr „gemeinsamer“ Alltag ist das, was sich Kinder wünschen. Und genau das ist kaum noch möglich, wenn sich Paare trennen. Ja, es widerstrebt regelrecht den Gefühlen von Haß und Enttäuschung, mit dem Expartner noch engen Kontakt zu halten. Vielleicht ist genau dieses Gefühlsdilemma das eigentliche Leid, das Trennungseltern im Streit um den Kindesumgang jahrelang ausagieren müssen.

Ein Reformziel des neuen Kindschaftsrechts sei es, den Kindern das Gefühl zu vermitteln, daß kein Elternteil aus der Verantwortung für sie entlassen wird, betont der Vorsitzende des Deutschen Familiengerichtstages, Siegfried Willutzki. Das neue Gesetz übe auf die Paare einen „höheren Einigungsdruck“ aus: Geschiedene, die das alleinige Sorgerecht wollen, müssen dies beantragen und begründen. Gleiches gilt für ledige Mütter, die den Vätern den Umgang mit dem Nachwuchs verwehren wollen.

Ob ein gesetzlich vorgegebener „Einigungsdruck“ den Geschlechterkampf entschärft, ist jedoch fraglich. Die Macht des Gesetzgebers ist sehr beschränkt, wenn die Kontrahenten nach tief verwurzelten Rollenmustern handeln. Auch die Kampagnen für Teilzeitarbeit und die Verlängerung des Erziehungsurlaubs haben schließlich nur wenig Väter an Wickeltisch und Herd gebracht.

Hätte jedoch der „Einigungsdruck“ durch das neue Sorgerecht zur Folge, daß sich der Machtkampf der Geschlechter eher auf andere Felder verlagerte – etwa in die Berufssphäre –, dann wäre etwas gewonnen. Denn die Objekte des leidigen Mutter-Vater-Konflikts sind immer noch die Schwächsten – eben die Kinder.

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