: Wundersames Wachstum
■ Wirtschaftswachstum 1995 nicht null, sondern 2,8 Prozent. Nächste Korrektur steht bevor
Machen die Zahlen einen schlechten Eindruck, grassiert bald die Depression. „Krise, Krise!“ rufen alle – ein Phänomen, das schon manchen Aktionär völlig grundlos viel Geld gekostet hat. Möglicherweise auch das Land Berlin. Wie das Statistische Landesamt unlängst mitteilte, betrug das Wirtschaftswachstum der Stadt 1995 mitnichten null, sondern 2,8 Prozent. Die Statistiker waren ein wenig durcheinander, haben sich auch verrechnet und verfügten nicht über alle notwendigen Daten.
Das unerwartete Wachstum „freut uns natürlich sehr“, meint jetzt Michael Wehran, Sprecher von Wirtschaftssenator Elmar Pieroth (CDU). Nur nützt es nachträglich nichts mehr. 1996 hätte man es vielleicht als Argument verwenden können, um auswärtige Betriebe zur Ansiedlung zu überreden.
Mehrmalige Korrekturen der Wachstumszahlen seien nichts Besonderes, sondern völlig normal, erklärt Eckart Elsner, Vizechef des Statistischen Landesamtes. Im März 1996 kämpften die Zahlenritter überdies noch mit außergewöhnlichen Problemen bei der 95er Berechnung. Die Berechnungsgrundlagen in den europäischen Ländern wurden einander angeglichen. Das muß man sich etwa so vorstellen: EDV-Entwickler bei Siemens gehörten plötzlich nicht mehr zur Industrie, sondern zur Dienstleistung. Das von ihnen erwirtschaftete Sozialprodukt wird zwischen den Zahlenkolonnen hin- und hergeschoben, wobei auch schon einmal etwas verlorengehen kann – um später wiedergefunden zu werden.
Nach heutigem Erkenntnisstand war Berlin 1995 also nicht Schlußlicht aller Bundesländer. Das Wachstum im vermeintlichen Armenhaus lag sogar über dem Bundesdurchschnitt (1,9 Prozent). Doch halt! Bevor sie eine endgültige Zahl präsentieren können, müssen die Statistiker noch ein wenig rechnen. Vermutlich, so ist zu hören, fällt sie geringer aus als 2,8 Prozent. koch
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