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Das Rom der Schwarzen

Die Band Olodom ist eine Institution in der brasilianischen Stadt Salvador da Bahia. Im Stadtviertel Pelourinho agiert die Band mit ihrem Reggae-Samba gegen Armut und Gewalt. Sie will die Jugendlichen von der Straße holen und mit ihnen Musik machen  ■ Von Christina Förch

Pelourinho, Roma Nera, Salvador“ singt die legendäre Percussion-Band Olodum aus Salvador da Bahia. Auf der Bühne tragen die Sänger ihre Lieder vor. Auf dem Platz vor ihnen, wo früher die Sklaven öffentlich ausgepeitscht wurden, spielen ein Dutzend Trommler auf ihren Atabaques, Surdos, Repiques. Junge Paare tanzen eng umschlungen, schließen die Augen, lassen sich vom peitschenden Rhythmus davontragen. Immer mehr Jugendliche drängeln sich auf den Platz, finden sich zu spontanen Choreographien zusammen, singen den Refrain des Liedes. Die Trommelmusik ist ihre Sprache, der Tanz ihr Ausdruck, Samba-Reggae ihr Aufschrei nach Gerechtigkeit und Anerkennung, Olodum ihr Triumph. Manchmal kommt es zu Schlägereien, vor allem dann, wenn sie viel getrunken haben am Wochenende. Dann hört die Musik auf, die Militärpolizei greift ein, der Störenfried wird davongetragen. Bald ist der Zwischenfall vergessen, das Fest geht weiter, wie jeden Sonntagabend, immer in Vorbereitung auf das Fest der Feste: den Karneval.

Die Karnevalsgruppe Olodum wurde vor neunzehn Jahren von schwarzen Jugendlichen im Altstadtviertel Pelourinho von Salvador da Bahia de Todos os Santos in Brasilien gegründet. Damals wurde der Pelô, wie er von seinen Bewohnern liebevoll genannt wird, von der wohlhabenderen Bevölkerung und von Touristen gemieden: Die Fassaden der Barockhäuser waren heruntergekommen, die Straßen verdreckt, fließendes Wasser gab es nicht. Es herrschte Gewalt auf den Straßen, Jugendgangs bekämpften sich.

Dabei war der Pelourinho einst ein prächtiges Stadtviertel gewesen. 1549 gründeten hier die Portugiesen ihre Kolonialverwaltung, bauten Kirchen und barocke Herrenhäuser. Das Reich stützte sich auf die Arbeitskraft der Sklaven, die aus Angola, dem Kongo und anderen afrikanischen Ländern zu Millionen nach Brasilien verschleppt und für den Zuckerrohr-, Tabak- und Kaffeeanbau eingesetzt wurden. Noch heute zeugen die mit Gold verzierten Kathedralen von dem ehemaligen Reichtum der Kronkolonie. Mitte des 19. Jahrhunderts verließen die Großbürger ihre Häuser und vermieteten sie an ärmere Bevölkerungsschichten. Der Verfallsprozeß war nicht aufzuhalten, der Pelourinho verkam immer mehr zum Slum inmitten der Stadt.

Mit ihrem „Bloco Afro“ wollten die Jugendlichen von Olodum Gleichaltrige von der Straße holen, mit ihnen Musik machen, Karneval feiern, die schlechten Lebensbedingungen im Pelô anprangern und einen Ausweg bieten aus dem Dasein in Armut und Gewalt. Der frühere Bandleader von Olodum, Mestre Neguinho de Samba, erfand einen aufpeitschenden, eindringlichen Rhythmus, den Samba-Reggae, der die politischen Botschaften der Lieder gut zu transportieren vermochte. „Ich interpretiere den Samba-Reggae als eine Innovation in der brasilianischen Musik, als eine Revolution. Dieser Rhythmus ließ unserem ganzen Schmerz, unseren Schreien, unseren Trommelschlägen freien Lauf“, meint Jo, Musiklehrer der in den achtziger Jahren entstandenen Kreativschule von Olodum. Er erzählt, daß alles damit begann, daß Olodum ein Lied über die Armut der Bevölkerung im Pelourinho machte und es vor der Präfektur vorspielte. Es zeigte Wirkung: Der Präfekt kam heraus und sprach mit den Jugendlichen. So wurde ihnen bewußt, daß sie durch ihre Musik protestieren und die Menschen zum Aufruhr vereinen konnten.

Heutzutage ist Olodum eine Institution für die Verteidigung der Rechte der Schwarzen. Im Pelourinho befinden sich mehrere Altstadthäuser im Besitz der Gruppe. In der Karnevalsfabrik werden Kostüme und T-Shirts genäht. In der Kreativschule findet Musikunterricht, Tanz, Theater, aber auch Englischunterricht oder Computerkurse für Kinder und Jugendliche aus ärmeren Familien statt. In der „Casa Olodum“, dem Haus von Olodum, gibt es eine Reggae- Bar. Hier werden auch Informationsveranstaltungen und Seminare abgehalten: über die Situation der Frau, Aids, Menschenrechte. Auf politischer Ebene hat Olodum 1989 eine Verfassung der Rechte der Schwarzen in Bahia durchgesetzt. Aus gutem Grund: über 80 Prozent der Bevölkerung Bahias sind schwarz oder Mischlinge, dennoch gibt es außer dem früheren Kulturminister und Musiker Gilberto Gil keinen einzigen farbigen Politiker oder Großunternehmer.

Nicht nur politisch hat Olodum Erfolge zu verbuchen. Die Kommerzialisierung der Organisation setzt sich immer weiter fort: Als Musikgruppe feierte Olodum zuletzt mit dem Videoclip von Michael Jackson „They don't care about us“ internationalen Erfolg. Die CDs verkaufen sich gut. Die Stadt Salvador produziert demnächst einen weiteren Clip mit Olodum im Pelourinho für knapp 100.000 Mark, als Werbeaktion für die Altstadt. Die ist mit ihren bunten Häusern nach der Restaurierung im Jahre 1985 kein Slum mehr, sondern Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt. Zahlreiche Reggae-Kneipen, schwarze Beauty-Salons, Künstlerateliers und viele Souvenirshops haben sich dort angesiedelt. In einem der Lieder von Olodum heißt es: „Pelourinho ist nicht mehr das, was es war. Schau dir sein Gesicht an, hier hat sich alles geändert, seit 15 Jahren glänzt es. Selbstbewußte Schwarze singen und tanzen im Pelô, Pelourinho erste Welt, Postkarte aus Salvador – komm vorbei in den Pelô!“ Nicht ganz zu Unrecht spielt Olodum dabei auf seine Verdienste bei der Restaurierung des Stadtteils an. „Früher wollten meine Eltern nicht, daß ich in den Pelourinho gehe, um bei Olodum mitzuspielen, denn sie dachten, es sei immer noch diese marginalisierte und gefährliche Gegend von früher. Sie änderten ihre Meinung und sahen ein, daß der Pelourinho heute das Zentrum ist, das am meisten Kultur nach Brasilien und in die ganze Welt exportiert“, berichtet der Gitarrist Gustavo. „Olodum brachte die Kultur in den Pelô“, bestätigt der Sänger Paulinho nicht ohne Stolz.

Auch wenn Olodum inzwischen zu einem profitorientierten Unternehmen mit Franchising-Aktivitäten avanciert ist und befürchtet werden muß, daß durch das kommerzielle Interesse die sozialen Aktivitäten in den Hintergrund treten, hat Olodum die Bewegung der Schwarzen entscheidend geprägt und vielleicht sogar ausgelöst. Heute gibt es in allen Stadtvierteln Salvadors Perkussionsgruppen Jugendlicher, die sich abends auf dem Kopfsteinpflaster der Altstadtgassen gegenseitig kleine Shows liefern. Viele erfolgreiche Musikgruppen wie zum Beispiel Timbalada von Carlinhos Brown haben sich an Olodum ein Beispiel genommen und verknüpfen ihre Musik mit sozialen Aktivitäten.

Neguinho de Samba stieg bei Olodum aus und gründete vor kurzem die erste Mädchen-Trommelgruppe Didá. Er erwarb sich ein Haus im Pelourinho und richtete dort eine Schule für Perkussion ein. Die älteren Afro-Gruppen Ilê Ayê und Filhos de Gandhi – sie alle spielen an verschiedenen Wochentagen in der Altstadt und verwandeln die Straßen in eine allwöchentliche Tanzfläche.

Die Kultur und Religion, die von den afrikanischen Sklaven in die neue Welt gebracht wurde und in Brasilien zum Candomblé verschmolz, ist in den Straßen Salvadors noch gegenwärtig. Ein Beispiel des im Alltag gelebten Candomblé ist der Kampftanz Capoeira, der in den Straßen oder am Strand von muskulösen jungen Mulatten ausgetragen wird. Mit schnellen, akrobatischen Bewegungen „kämpfen“ die Paare gegeneinander, ohne sich zu berühren. Um sie herum schart sich eine Gruppe mehrerer Sänger und Berimbauspieler, die den Rhythmus der Tänzer bestimmen. Zur Zeit der Sklaverei war diese Kulthandlung verboten, wurde im geheimen aber weitergepflegt und diente den Sklaven bei den Befreiungskämpfen sicherlich als effektives Verteidigungsmittel gegen die Herrscher. Heute ist diese Tradition lebendig. Ihre akrobatische Vollendung kann man im „Balet Folclórico“ im Pelourinho bewundern oder eine der zahlreichen Capoeira-Schulen wie beispielsweise die „Escola Capoeira Angola“ besuchen.

An vielen Ecken der Stadt bieten weiß gekleidete, mit Amuletten geschmückte „Mulheres Santas“, heilige Bahaianerinnen, ihre Acarajés, gekochte oder frittierte Bällchen aus Bohnenteig an. Am bekanntesten ist wohl Dadá. Als Dienstmädchen gründete die Mulattin irgendwann in ihrem kleinen Häuschen eine Art Restaurant für die Bewohner des Stadtviertels Federaçao. Bald entwickelte sich dieser Ort zum Geheimtip für Künstler und Intellektuelle. Der Schriftsteller Jorge Amado, bekannt durch seine Bahia-Romane, ist dort Stammgast. Heute besitzt Dadá mit ihrem Mann ein zweites Restaurant im Pelô. Nach wie vor kocht sie ihre Köstlichkeiten aus Tintenfisch in Kokosnußsauce und Koriander, mit Reis, Bohnen und Maniokmehl. Jede dieser Spezialitäten hat im Candomblé eine religiöse Bedeutung. Jedem Gott gebührt eine eigens für ihn zubereitete Köstlichkeit. Und diese ißt sich wahrhaft göttlich.

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