■ Die FDP ist programmatisch bestens gerüstet – für die Opposition
: Funktionslose Funktionspartei

Der Generalsekretär der FDP, Guido Westerwelle, hat eine Forderung: Kohl muß weg. Doch das Überleben der FDP hängt derzeit davon ab, daß diese Forderung nicht in Erfüllung geht. Deshalb hat der Parteitag beschlossen, die Koalition mit der Union fortzusetzen. Er hat diesen Beschluß gefällt, um allem internen Nachsinnen über eine mögliche Richtungsänderung die Nahrung zu entziehen, bevor es sich zu einer manifesten Position verdichten könnte.

Das Programm wird erst nach der Koalitionsaussage beschlossen, woraus man den Schluß ziehen kann: Die FDP ist in erster Linie eine Funktions- und dann erst eine Programmpartei. Auch Westerwelle weiß, daß nur die Funktion der FDP das Überleben sichern kann. Und er weiß auch, daß Helmut Kohls Überleben von dieser Funktionsrolle abhängt. Wolfgang Schäuble, den er in den Vordergrund geschoben hat, käme nur über eine Große Koalition in die Regierung. Um dabei eine Führungsrolle zu wahren, müßte die Union jedoch um jede Stimme kämpfen.

Helmut Kohl hingegen kann nur mit den Liberalen regieren, deshalb hat er ihnen bei den bisherigen Wahlen mit einer Zweitstimmenkampagne über die Fünfprozenthürde geholfen. Ob die Union noch auf ihren Kanzler setzt, wird sich auch daran zeigen, ob sie auch in diesem Jahr zu einer solchen Kampagne bereit ist. 1994 brachte die FDP die Symbiose mit Kohl auf den Wahlslogan: FDP wählen, damit Kohl Kanzler bleibt. Dieser funktionalistische Minimalismus war zugleich der Tiefpunkt liberalen Selbstbewußtseins. Seitdem hat die FDP den Mantel programmatischer Beliebigkeit abgestreift und sich eine klare Identität geschneidert.

Dem neoliberalen Projekt Westerwelles wurde bereits vor Jahren ein Wählerpotential von bis zu 15 Prozent attestiert. Allein, die Wählerschaft goutiert den marktradikalen Impetus nicht, sie bleibt gegenüber der FDP reserviert. Denn so häufig Westerwelle seinen marktradikalen Antietatismus hinausschrie, so häufig wurde ihm von den potentiellen Wählern das eigene Mittun vorgehalten.

Bildete der Kanzler das barocke Bühnenbild, vor dessen Hintergrund der Generalsekretär seinen modernistischen Veitstanz aufführen konnte, so wird ihm diese Rolle schwergemacht, seit Wolfgang Schäuble seinerseits eine konservative Antwort auf die zweite Moderne formuliert. Mit Schäuble ist Westerwelle in eine unausgesprochene Konkurrenz um die programmatische Meinungsführerschaft im bürgerlichen Lager getreten. Ausgerechnet ihn kürt er nun zum ersten Mann der Nach-Kohl-Ära, um den eigenen Veränderungswillen zu dokumentieren. Das alles ist zu viel Widerspruch, um noch Bewegung zu signalisieren.

Es gibt einen Ort, um diese Widersprüche aufzuheben, die Opposition. Es wäre für die Partei eine gewöhnungsbedürftige, aber keinesfalls chancenlose Position. Denn die Zeit der christdemokratischen Hegemonie über das Bürgertum geht zu Ende. Die Stärke der CDU ist innerhalb der europäischen Christdemokratien eine Ausnahmeerscheinung. Der Einbruch einer modernisierten Sozialdemokratie in das nach neuen Orientierungsmustern suchende Bürgertum ist unverkennbar. Gehen CDU und FDP in die Opposition, wird man sie auch an den Antworten unterscheiden können, die sie auf den Kompetenzverlust des Nationalstaates geben. Ist die Christdemokratie in eine Große Koalition eingebunden, läßt deren rheinische Variante des Kapitalismus ausreichend Raum für eine klare konservativ-liberale Profilierung.

Westerwelle sieht diese Möglichkeit zum Erfolg. Er braucht dabei gar nicht nach Österreich zu schauen und Haiders unappetitlichen Visionen zu folgen. Er sieht den Erfolg in Dänemark, er sieht ihn in Holland. Dort regieren die Liberalen mit einem klaren konservativen Profil. Die niederländischen Liberalen stehen nicht nur für eine Marktorientierung, sondern auch für eine stramme Ordnungspolitik, eine Kombination, die auch hierzulande Wählerzulauf verspricht. Eine solchermaßen gewandelte FDP hätte zwar nicht mehr viel mit Liberalismus zu tun, doch wäre sie nicht die erste Partei, deren Praxis im Widerspruch zu ihrem Namen steht. Dieter Rulff