■ Ökolumne: Die mühsame Suche nach dem Neuen i Im Rohstoff-Sparen schlummern die Innovationschancen für die Wirtschaft
Unsicherheit ist ein wesentliches Merkmal unserer komplexen Welt. Jede Umweltpolitik ist damit gleich doppelt konfrontiert: Zum ersten sind die Folgen menschlicher Eingriffe in die Natur nur schwer zu kalkulieren. Zum anderen ist auch ein politisches Gegensteuern im Sinne des Umweltschutzes oft mit unerwünschten Nebeneffekten verbunden. Sie äußern sich in höheren Kosten oder in der Verschiebung von Umweltproblemen: So verursachen etwa die Autoabgas-Katalysatoren selbst wieder Umweltschäden in den Ländern, wo das Platin für diese Geräte gefördert wird.
Ein schlichtes Begrenzen der Schadstoffe reicht also nicht aus: Die Umweltrisiken lassen sich nur gering halten, wenn der Eingriff in die Umwelt, der Verbrauch von Rohstoffen und Energie insgesamt verringert wird. Denn jedes Produkt, ob nun Transistorradios oder Brokkoli, trägt einen diffusen, aber gewaltigen „ökologischen Rucksack“ mit sich. Zum Beispiel benötigt eine 0,33-Liter-Aludose für Herstellung und Transport zum Kunden im Schnitt mehr als 1 Kilo Material und 20 Liter Wasser – eine Einweg-Glasflasche aber nur 250 Gramm Material und 2 Liter Wasser. Darauf bezieht sich die Forderung des Wuppertal Instituts auf eine Politik des Faktors vier bis zehn: Das bedeutet, in allen Bereichen der Wirtschaft die globalen Stoffströme auf ein Viertel bis ein Zehntel zu reduzieren, so daß die Lebensqualität in den reicheren Teilen der Welt dauerhaft erhalten, in den Ländern des Südens gleichzeitig gesteigert werden kann.
Die mühsame Suche nach dem Neuen Im Rohstoff-Sparen schlummern die Innovationschancen für die Wirtschaft
Nötig sind also ein effektiverer Umgang mit Rohstoffen und Energie, mehr Recycling und eine Verlängerung der Lebensdauer von Produkten. Immer geht es darum, möglichst viel Nutzen aus möglichst wenig Material herauszuholen. Nicht die üblichen Verdächtigen, sondern die Unternehmen selbst bestätigen immer mehr, daß für sie die umfassende Reduktion von Stoffströmen attraktiv ist – weil es auch wirtschaftlich Vorteile bringt. Den Kritikern Peter Jakubowski, Stefan Kotte und Henning Tegner ist das in ihrem universitären Elfenbeinturm offenbar entgangen.
Vor einigen Tagen fand im österreichischen Klagenfurt mit großem Erfolg die erste internationale Faktor4+-Messe statt, mit mehr als 100 Ausstellern aus sieben Ländern, bei der zahlreiche Innovationen von waschbaren Stoffwindeln mit Einlagen zum Wegwerfen bis hin zu superdämmenden Holzfenstern präsentiert wurden. Insbesondere Unternehmen aus Asien zeigten, welche Potentiale sie in der Dematerialisierung sehen. Sie sparen dadurch Kosten beim Einkauf, in der Produktion und bei der Entsorgung. Noch wichtiger aber ist: neue, ökologisch effiziente Produkte und Dienstleistungen bringen Wettbewerbsvorteile.
Alle reden von Innovationen als Grundvoraussetzung wirtschaftlichen Erfolgs, alle suchen das Neue, aber wo läßt es sich finden? Das Leitbild der Dematerialisierung kann hier neue Wege weisen. Viele Unternehmen haben das – im Gegensatz zu unseren Kritikern aus der Wissenschaft – längst erkannt. Hier gilt eben nicht „Umweltschutz = Kosten“.
Die Behauptung in der Ökolumne von Jakubowski, Kotte und Tegner, der „Faktor Mensch“ stehe dem Konzept Faktorx im Wege, ist daher falsch. Im Gegenteil: Eine Reduzierung der Stoffströme – als Leitbild – bietet auf Dauer mehr Freiräume als eine Umweltpolitik, die neue Umweltprobleme mit immer neuen Vorschriften zu „beheben“ versucht.
Auch der Vergleich mit der „5-Mark-Debatte“ hinkt. Unser Konzept nimmt gerade nicht einseitig einzelne Gruppen aufs Korn. Der Autoverkehr gehört zwar zu den Hauptverursachern globaler Umweltbelastungen, aber ein Umschwenken der gesamten Wirtschaftsweise kann von ihm allein nicht ausgehen. Deshalb versucht das Faktorx-Konzept „ökologische Leitplanken“ für eine nachhaltige Entwicklung der gesamten Wirtschaft zu geben. Für das Einziehen solcher Leitplanken eignen sich eine Reihe Umweltinstrumenteß von freiwilliger Selbstverpflichtung bis zu Steuern auf Rohstoffe, vom Abbau ökologisch unsinniger Subventionen bis hin zur Werbung für ressourcenschonende Produkte. Alles Maßnahmen, die kreative Geister eher als Ansporn denn als Einschränkung empfinden werden. Friedrich Hinterberger
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