piwik no script img

„Behindertenurteil“ bleibt bestehen

■ Karlsruhe lehnt Beschwerden gegen zeitweises „Gartenverbot“ für geistig Behinderte ab. Zuwenig Beteiligung am Ausgangsverfahren

Freiburg (taz) – Die Bewohner einer Außenwohngruppe für geistig Behinderte in Stockheim bei Düren müssen weiter zu bestimmten Zeiten im Garten ruhig sein. Denn das umstrittene „Behindertenurteil“ des Kölner Oberlandesgerichts (OLG) bleibt bestehen. Dies entschied gestern eine mit drei Richtern besetzte Kammer des Bundesverfassungsgerichts. Karlsruhe lehnte mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die Kölner Entscheidung ab.

Im Ursprungsverfahren hatte ein Stockheimer Musiklehrer gegen den Träger des Heims, den Landschaftsverband Rheinland, geklagt. Dieser möge für Ruhe in seinem Garten sorgen, da ihn als Nachbarn das „unartikulierte Schreien, Rufen, Gurgeln, Stöhnen, Lachen und Lallen“ der sieben geistig behinderten Männer über Gebühr belästige. Das Kölner OLG versuchte einen Kompromiß und erlegte dem Heimträger auf, die Behinderten zu bestimmten Tageszeiten notfalls ins Haus zu bringen. Das Urteil war vielerorts als Skandal empfunden worden, weil auch die Richter den Gemütsäußerungen der Behinderten einen besonders hohen „Lästigkeitsfaktor“ zumaßen. Gegen das OLG-Urteil hatten sowohl der Landschaftsverband als auch die sieben Bewohner der Wohngruppe Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die Klagen wurden jedoch mit unterschiedlicher Begründung als „unzulässig“ abgewiesen.

Der Heimträger hatte sich beschwert, im Verfahren vor dem OLG Köln sei nicht auf seinen Wunsch eingegangen worden, ein Sachverständigen-Gutachten über die vermeintliche Lärmbelästigung anzufertigen. Dadurch sei das Heim in seinem Anspruch auf „rechtliches Gehör“ verletzt worden. Jedoch konnte der Landschaftsverband in Karlsruhe nicht beweisen, daß er einen solchen Beweisantrag gestellt hatte.

Die Behinderten und ihre Rechtsvertreter monierten, das OLG habe ihr Persönlichkeitsrecht verletzt. Zum einen würden ihnen Freiheitsrechte genommen. Zum anderen sei es unzulässig gewesen, vor Gericht ein Tonband mit den Gartengeräuschen abzuspielen, das der Musiklehrer heimlich aufgenommen hatte. Karlsruhe hielt auch diese Beschwerden für „unzulässig“. Die Behinderten hätten sich prozessual nicht am Ausgangsverfahren beteiligt, obwohl dies möglich gewesen wäre. (Az.: 1 BvR 329/98) Christian Rath

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen