: „Manchmal läuft die Schnauze von selber“
■ Fristlose Entlassung eines Moderators bei Radio Bremen 4 sorgt für Empörung / Selbst Landesrabiner hält Kündigung wegen Äußerung über Anne Frank für überzogen
Die fristlose Kündigung des Moderators Peter M. hat bei den Mitgliedern des Rundfunkrates eine Welle der Empörung ausgelöst. Selbst der Landesrabiner Benyamin Barslai hält die Reaktion von Radio-Bremen Intendant Karl-Heinz Klostermeier für überzogen. Der Moderator hatte sich in der ARD-Popnacht, zu dem Satz „Ich hasse Anne Frank“ hinreißen lassen. Als sich ein Hörer beschwerte, setzte Klostermeier den freien Mitarbeiter kurzerhand vor die Tür. Dabei hatte sich der Intendant im März selbst auf einer Sitzung des Rundfunkrates im Ton vergriffen (taz 19.6.). Er könne verstehen, daß die Leute im Sender nach dem Führer rufen würden, hatte Klostermeier seinerzeit gewitzelt Das hätte man 1932 auch getan. Der Intendant entschuldigte sich und blieb – allen Rücktrittsforderungen zum Trotz.
„Die Aussage ist blöd. Aber eine antisemitische Äußerung kann ich darin nicht erkennen. Ich würde jemanden deshalb nicht sofort entlassen“, sagt Landesrabiner Benyamin Barslai. Daß der Moderator – wie er sagt – ein „Blackout“ gehabt habe und mit dem Namen Anne Frank im Eifer des Redeflusses nicht das jüdische Mädchen in Verbindung gebracht habe, das im KZ ermordetet worden ist, nimmt Barslai dem Entertainer ab. „Ich sehe das nicht so eng, es gibt Schlimmeres“, sagt er.
„Manchmal läuft die Schnauze von selber, und der Verstand ist abgekoppelt“, zeigt auch Klaus Bernbacher (AfB) Verständnis für den Entertainer. Natürlich sei der Satz des Moderators nicht zu entschuldigen. „Aber es muß gleiches Recht für alle gelten.“ Zwar könne man die Äußerungen Klostermeiers nicht so ohne weiteres mit dem Satz des Moderators vergleichen, gibt Bernbacher zu bedenken. „Aber es kann kein Klassensystem gelten, so nach dem Motto: Die da oben dürfen bleiben, die unten werden gebissen. Man muß den Moderator ins Gebet nehmen und ihm klarmachen, daß das kein Lapsus war, aber man muß ihn nicht gleich rausschmeißen.“
Der Rausschmiß sei „Willkür“, empört sich Rundfunkratsmitglied Brigitte Dreyer (CDU). „Beide Äußerungen sind nicht zu entschuldigen, aber ich beharre darauf, daß für den Moderator das gleiche gilt wie für den Inentdanten, sonst sieht das nach Willkür aus.“ Peter M., der durch die Sendung „Nullnummer“ als Hermine Plaschke bekanntgeworden war, war einer von 40 freien Mitarbeitern, die bei Radio Bremen 4 gar keinen oder nur einen sehr eingeschränkten Kündigungsschutz genießen.
„So eine Äußerung ist natürlich nicht zu entschuldigen, aber der kleine Moderator muß gehen, der Intendant darf bleiben. Das ist messen mit zweierlei Maß“, sagt auch Theo Klinger, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes in Bremen (DJV). Der Bremer Journalistenverband hatte nach der Rundfunkratssitzung im März den Rücktritt Klostermeiers gefordert.
Klostermeier hätte sich damals „geschickter“ verhalten, erinnert sich Dagmar Bleiker, die für die Grünen im Hörfunkausschuß sitzt. Der Intendant hatte sich noch in der Sitzung für seine Äußerung entschuldigt. Das hätte auch der Moderator tun sollen, sagt sie. „Aber ihn gleich rauszuschmeißen, ist eine zu harsche Entscheidung, die ich nicht nachvollziehen kann“.
Dieser Meinung ist auch Elisabeth Motschmann (CDU). Sie ist Mitglied des Rundfunkrates und war früher Journalistin: „Die Äußerung des Moderators ist nicht tolerabel, aber sie rechtfertigt keine sofortige Entlassung“. Außerdem müsse mit „gleicher Elle“ gemessen werden, so Motschmann. „Der Intendant darf bleiben, der Moderator muß gehen. Das geht nicht. Außerdem wäre es besser gewesen, den Fall erstmal im Rundfunkrat zu diskutieren.“ Dafür will sich jetzt der stellvertretende Vorsitzende des Rundfunkrates, Horst Isola (SPD), einsetzen. Er hat das Thema auf die Tagesordnung für die nächste Sitzung des Finanz- und Organsisationsausschusses am 7. Juli gesetzt. Isola will sich das Band der Sendung anhören und mit Klostermeier „ein Gespräch darüber führen, ob das gerechtfertigt war. Bei solch' einer Entscheidung muß man die Gesamtleistung eines Mitarbeiters sehen und nicht nur ein einmaliges Versagen. Auch wenn die Äußerung nicht zu entschuldigen ist, muß sie nicht zwangsläufig zu einer Entlassung führen.“
Peter M. ist nicht der erste Journalist in Bremen, der wegen einer angeblich antisemitischen Äußerung gefeuert worden ist. 1994 mußte der stellvertretende Chefredakteur der Bremer Nachrichten, Walfried Rospek, seinen Stuhl räumen, weil er die Schlagzeile „Jude als Nachbar ungern gesehen“ veröffentlicht hatte. Die Überschrift bezog sich auf eine Emnid-Umfrage nach der 22 Prozent der Deutschen „lieber nicht“ mit einem Juden Tür an Tür leben wollten. Daß Rospek diese Haltung in einem Kommentar scharf kritisierte, nützte nichts. Verleger Herbert Ordemann schickte den damals 63jährigen Journalisten in den Ruhestand – kurz nach seinem 40jährigen Betriebsjubiläum. kes
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen