piwik no script img

Mon Dieu MondialWochen der Wahrheit!!!

■ „kicker“-Leser wissen mehr, denn rote Kreuze weisen den Weg zum „großen Ziel“

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Ihnen heute an dieser Stelle eine Zeitschrift ans Herz zu legen: den kicker, das Fachblatt für den ausgewiesenen Fußballfreund. Ich weiß, gerade in gebildeten Kreisen ist es üblich, Fußball irgendwie als Spiegelbild der Gesellschaft zu sehen oder als Spektakelsurrogat für hierzulande ausbleibende Demi-Moore-Bruce- Willis-Eskapaden zu nehmen. Man schaut somit vorzugsweise in herausragende Reflexionsapparate wie die Süddeutsche Zeitung oder Lag-beim-Zahnarzt- herum-Gazetten wie Bunte, um das „Phänomen“ Fußball kopfmäßig zu verarbeiten und zuweilen auch zu verspötteln. Man lächelt dann erhaben über Loddar Matthäus. Lehnt sich zurück und grübelt, ob Fußball tatsächlich die Religion der Erlebnisgesellschaft ist. Oder freut sich über schöne Zitate wie das von Glenn Hoddle: „Wenn wir meinen, die Spieler haben es nötig, dann lassen wir ihre Frauen und Freundinnen hierher holen, um die Jungs wieder hochzukriegen.“ Weil alles andere unter Niveau zu sein scheint, gesteht man sich nur schwer ein: Das alles ist total peripher.

Fußballer sind nicht süß, Fußball ist keine Metapher, und Gott ist auch nicht rund. All das ist es nicht, und das weiß man eigentlich und – wenn sie sich ein bißchen anstrengt – frau auch. „Entscheidend is auf'm Platz“, Fußball ist ein Spiel, ein Spiel hat Regeln, und die gilt es zu analysieren. Für das deutsche Spiel ist entscheidend, ob Tarnat und Heinrich in der Lage sind, sich im Eins-eins gegen ihre Gegenspieler durchzusetzen, bis zur Grundlinie zu marschieren und von dort präzise den Gold-Kopf Bierhoff zu treffen. Das sind so Fragen. Und die stellt der kicker. Wenn „entscheidend auf'm Platz is“, dann steht die Wahrheit im kicker.

Der kicker kümmert sich um die reine Lehre. Es interessiert ihn nicht, wohin und mit wem Stoitchkow und Penew 20 Stunden aus dem bulgarischen WM- Lager verschwunden waren; der kicker trennt konsequent das Private vom Ballitischen.

Bulgariens Aus ist folgerichtig „Resultat der Veränderungen des Fußballs in den letzten Jahren“. Fußball heute braucht „kopfballstarke und bewegliche Stürmer“, das sind die beiden nicht mehr, populär gesprochen: Sie sind zu lahm. So einfach ist das.

Der kicker ist aufgrund seiner fachlichen Kompetenz ungemein antizipierend. Häßler für Möller, Matthäus für Hamann, Helmer für Jeremies, Tarnat für Ziege – all das stand schon vor dem Iran-Spiel auf dem kicker-Titel. Auch optisch war das schön gemacht: Wer reinkam, erschien mit Ganzkörperfoto, wer rausflog, dessen Kopfbild war rot durchkreuzt!

Apropos Ausrufezeichen. Der kicker hat ein Sinn für Dramatik und setzt hinter jede zweite Schlagzeile ein Ausrufezeichen. Die sprachlichen Bilder sind zuweilen etwas schief, das Vokabular einigermaßen begrenzt, aber es geht immer um die Wahrheit: „Der Tag der Wahrheit“, „Die Woche der Wahrheit“, so was findet jede Woche, jede Ausgabe statt. Und die Wahrheit liegt, ich wiederhole mich gern, bekanntermaßen auf dem Platz. Die Wahrheit führt zum „großen Ziel“. In diesem Sinne: Wenn Sie das gelesen haben, kaufen Sie den kicker, und Sie werden die Wahrheit wissen. (Und falls beim kicker jetzt eine Abo-Flut eingeht, habe ich für meinen Teil die angepriesene Belohnung eines „hochwertigen Samsonite Hartschalenkoffers ,Magnum' aus robusten Polypropylen“ verdient.) Andreas Lehmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen