: Homoliebe gegen religiösen Haß
Mit dem Sieg Dana Internationals beim Grand Prix d'Eurovision im Rücken fand Freitag die erste Homodemonstration Israels statt. Am Ende kamen mehr Schwule und Lesben als erwartet. Tenor: Auch wir gehören zur jüdischen Familie ■ Aus Tel Aviv Gudrun Grundmann und Georg Baltissen
Die schlanke Transe trägt ein weißes enganliegendes und knöchellanges Kleid, auf dessen Oberteil ein Davidstern prangt. Sie tanzt. Und das bei 35 Grad im Schatten. Hinter ihr laufen zwei schwule Männer und halten ein Transparent, mit dem sie ihrer Vorläuferin gelegentlich Schatten spenden. Einige Reihen weiter sind zwei Lederkerle mit dem Festzurren der über der Brust gekreuzten Ledergurte beschäftigt, die auf dem Rücken mit der wie eine zweite Haut anliegenden Lederhose verbunden sind.
Drei Queens, Königinnen gleich, tanzen ausgelassen auf dem Wagen in der Mitte des Zuges. Es ist kein gewöhnlicher Zug, der durch Tel Aviv marschiert. Es ist die erste Demonstration von Lesben und Schwulen und Transen in Israel. Immer wieder peitscht „Viva la Diva“ die Demoteilnehmenden an. Das Discostück, mit dem die transsexuelle Dana International Anfang Mai für Israel den Grand Prix d'Eurovision gewann, ist die Hymne der „Love Parade“, wie die Christopher-Street-Parade in Tel Aviv genannt wird.
Viva la Diva: Eine Dunkelhäutige mit rothaariger Perücke in einem violetten Glitteretwas ist nicht mehr zu halten, während sich neben ihr eine schwarzgekleidete Dana-Imitation mit einem schwarzen Fächer etwas Kühle verschafft und sich ansonsten zurückhaltend wiegt. Weitere Tänzer, mit knappen Shorts bekleidet, heizen immer wieder die Stimmung auf dem Wagen an, wirbeln über die Wagenfläche, klatschen und stampfen zum Rhythmus von Danas Songs.
In der Ben-Gurion-Straße flattern vor einem Blumenladen und dem daneben liegenden Frisiersalon lange regenbogenfarbene Kreppbänder. Auch aus der darüber liegenden Wohnung dröhnt „Viva la Diva“, was mit Applaus bedacht wird. Über den Balkon eines gegenüber liegenden Hauses wirbelt ein Paar wie besessen zur Musik, die laut und synchron mit der des vorbeifahrenden Wagens zu hören ist.
Hinter den Glastüren eines Frisiersalons stehen fünf Mitarbeiter fassungslos nebeneinander wie Orgelpfeifen hinter Glas. Eine Boutiquenverkäuferin verharrt mit einem Stapel Kleider über ihrem Arm vor dem Geschäft und schaut stumm dem Treiben auf dem vorbeifahrenden Wagen zu. Im Straßencafé ein paar Meter weiter springen fünf Männer von ihren Stühlen hoch und spenden den Akteuren auf dem Wagen Beifall.
Hinter dem Wagen mit den Queens sieht man in kniehohen schwarzen Stiefeln eine Diva, die mit zwei perlmuttfarbenen Schälchen ihre Brust bedeckt. Der mit roten Geschenkbändern verzierte, voluminös aufgebauschte Klarsichtfolienpetticoat läßt nur langsames Schreiten zu. Immer wieder taucht der mit kobaltblauer Farbe bedeckte Kopf und Oberkörper eines Schwulen auf, der mit großen Schritten gelbe Rosen verteilt. Die meisten Umzügler sind normal gekleidet, hin und wieder haben sie etwas Glitter auf der Haut. Als der Zug kurz stillsteht, erhält ein schwules Paar, in einen leidenschaftlichen Kuß versunken, Szenenapplaus.
Schon am Freitag nachmittag und nicht, wie in anderen Ländern üblich, am Samstag, hatte die „Vereinigung der Schwulen und Lesben in Israel“ zur Christopher- Street-Feier aufgerufen. Eine Entweihung des Schabbat durch eine Love Parade hätte in Israel einen Sturm der Entrüstung ausgelöst – selbst wenn der Umzug im sündigen Tel Aviv stattfände und nicht in Jerusalem, in der Hochburg der Orthodoxen.
Homosexualität ist für ultrareligiöse Israels immer noch „Teufelswerk“. Der Abgeordnete Benaziri von der Schas-Partei stand nicht allein da, als er Schwule und Lesben in der vorigen Woche als „unjüdisch“ anprangerte.
„Natürlich sind wir in diesem Land noch diskriminiert. Wir haben noch längst nicht all unsere Rechte als Minderheit“, sagt Sheizat, einer der führenden Organisatoren der Homo-Love-Parade. Sheizat ist einer der Aktivisten der rund 1.000 Mitglieder zählenden Homoorganisation Israels. Eine Auseinandersetzung mit den Ultrareligiösen hält er für vergebens: „Die leben in einer anderen Welt. Wir argumentieren einfach nicht auf derselben Ebene. Sie leben nach ihrem Glauben und wir nach dem unsrigen. Das einzige, was wir fordern, ist Toleranz“, sagt Sheizat.
Eigentlich hatte Sheizat mit 1.000 Demonstranten gerechnet. Am frühen Nachmittag haben sich erst wenige hundert Frauen und Männer auf dem Rabin-Platz eingefunden. Darunter die 23jährige Keren, Mitglied der Lesbengruppe „Klaff“. Letztes Jahr hat die Gruppe ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert, ein Grund zum Feiern. Daß dies Israels erste Homo-Love- Parade ist, kommentiert sie sarkastisch: „Es kommt halt alles ein bißchen später nach Israel. Wir hinken etwas hinterher in diesen Dingen. Aber sehen Sie sich nur an, was die Orthodoxen sagen. Für die sind wir gar keine Menschen“, fügt sie erklärend hinzu.
Dann dreht sie sich um und sagt strahlend: „Ach, da kommt ja meine Freundin.“ Die 22jährige Gely ist eine kräftige, hochgewachsene Frau mit kurzgeschnittenem schwarzen Haar. „Wir wollen uns heute nur gut und glücklich fühlen und zeigen, daß wir stolz sind“, sagt Gely. Aber auch sie fürchtet, daß nur ein kleines Häuflein Menschen zur Demonstration kommen wird. „Wegen des Wahlkampfes um das Amt des Bürgermeisters in Tel Aviv haben sich einige Parteien und Politiker zuletzt etwas freundlicher uns gegenüber gezeigt“, sagt Gely. Einige hätten sogar diskriminierende Äußerungen öffentlich zurückgenommen. Vieleicht habe das ja einen positiven Einfluß.
Tom, Student der Geschichte und Soziologie an der Uni Tel Aviv und ein Freund Gelys, ist nicht schwul. Der bärtige 24jährige ist aus Solidarität hier. „Es macht Spaß“, sagt er. „Diese Menschen sind viel offener und freundlicher.“
Im Schatten einer kleinen Baumgruppe auf der rechten Seite des Rabin-Platzes kann man kleine und große Regenbogenfahnen erwerben. Bislang verraten nur diese Fähnchen, daß hier nicht eine der üblichen Politdemos zelebriert werden soll. Der 17jährige Ran, ein stattlicher Jugendlicher, verhandelt gerade über den Kauf einer großen Regenbogenfahne. 80 Schekel, umgerechnet 40 Mark, bezahlt er. „Normalerweise mußt Du 300 Schekel dafür bezahlen“, sagt Ran. Nach der Love Parade, so Ran, werde er die Fahne in seinem Zimmer aufhängen. „Ich bin stolz darauf, wie ich bin“, sagt er, „und das will ich heute zeigen. Noch was?“ fragt er und geht.
Die selbstbewußten Worte des Teenagers finden eine einleuchtende, aber auch überraschende Erklärung. Er ist nicht allein hier. Zwei Meter von ihm entfernt steht seine Mutter und hört aufmerksam zu. „Mein Mann wollte auch mitkommen“, erklärt sie, „aber der ist krank geworden.“ Uneingeschränkt stehen sie beide zu ihrem Sohn. „Wir haben schon sehr früh bemerkt, daß Ran schwul ist“, sagt die Mutter. „Als Sozialarbeiterin kenne ich die Probleme, aber für uns ist es nie eines gewesen“, fügt sie an. Ihren Namen aber will sie nicht sagen. „Erfinden Sie einen“, sagt sie lachend.
Nicht alle israelischen Eltern von homosexuellen Kindern können ein ähnlich gutes Gewissen haben. Jonathan Danilowitz steht an der Ecke eines großen Transparents mit hebräischer Aufschrift. Er übersetzt: „An unsere Enkelkinder, wir sind aus der Versenkung hervorgekommen mit unserer Liebe, Eure Eltern“. Jonathan gehört einer Organisation an, die Eltern berät und ihnen helfen will, wenn diese auf einmal entdecken, daß ihre Söhne oder Töchter schwul oder lesbisch sind. „Oft sind die Eltern traumatisiert“, erklärt Jonathan, „und wir helfen ihnen zu verstehen, daß ihre Kinder nach wie vor würdige und vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft sind.“
Ein junger Mann, bekleidet mit einem sehr bunten Plisseerock und einer grau-schwarzen Damenbluse, die langen Haare zu einem Dutt hochgebunden, gehört zur Gruppe „Lesben und Schwule für die Rechte der Tiere“, wie sein Transparent verrät. Die vielen Hunde, die auf dem Rabin-Platz herumlaufen, begleiten ihre Besitzer auf der Liebesparade.
Als der Zug sich mit demotypischer Verspätung in Bewegung setzt, staunen die Teilnehmer über sich selbst. Statt einiger hundert lassen sich locker mehrere tausend Köpfe zählen. Als Cheerleader der Parade treten fünf junge Männer auf, gekleidet in dünne grüne, rote, lila, gelbe und blaue Trainingsanzüge, entsprechend farbige Kappen auf dem Kopf. Aus dem Meer von Regenbogenfahnen sticht die von Amir heraus. Er ist der einzige, der eine eigene Fahne mitgebracht hat. In das violette Tuch hat er gelbe, grüne, rote und blaue Schmetterlinge gesteckt. Eine besondere Bedeutung habe die Fahne nicht. „Sie sagt nur das aus, was du in ihr sehen willst“, erklärt er ein wenig ungehalten, um dann nach einem Kompliment doch weiterzuerzählen.
„Meine Originalfahne war blau mit Schmetterlingen. Aber die habe ich Dana International übergeben, persönlich.“ Leider habe Dana International – die persönlich nicht mitlaufen konnte – vor Wochen ja von den Deutschen nur wenig Stimmen erhalten, klagt er. Aber so seien die Deutschen halt, wahrscheinlich noch in 50 Jahren.
Nationalbewußter geben sich Israels Lesben auf alle Fälle. Eine junge Frau trägt auf dem Rücken die Regenbogenfahne und auf der Brust die israelische Flagge. Und eine ältere Dame appelliert mit ihrem Plakat an die traditionell jüdischen Werte: „Haß ist kein Familienwert“, heißt es auf ihrem Plakat an die Adresse der Ultrareligiösen.
Es mag nur eine Ironie des Zufalls sein. Aber die Demostrecke führt über die Straßen der bedeutendsten zionistischen Gründerväter, vom Rabin-Platz über die Ben- Gurion-Straße, dann nach einer Rechtsabbiegung in die Dizengoff- Straße und wieder links in die Jabotinsky-Straße. Sie endet in einem Park am Meer.
Bis zum Beginn des Schabbat werden auf der Bühne führende israelische Popstars auftreten. Die meisten seien „straight“, also heterosexuell, erklärt Gely, die mit Keren und Tom inzwischen auch auf der Wiese angekommen ist. Viele schwule und lesbische SängerInnen hätten sich nicht vor das parteipolitische Lager der linken Meretz und der Arbeitspartei spannen lassen wollen, die jetzt auf einmal ihr Herz für „unsere Minderheit“ entdeckt hätten.
Das Bühnenbild zeigt zwei nackte weiße Menschen in gebückter Haltung, das Gesicht abgewandt. In ihren Armen halten sie einen Regenbogen. Die erste „Verkaufsbude“ im hinteren Teil des Parks ist gar keine. Hier werden lediglich Werbeplakate und Mützen für den Bürgermeisterkandidaten der „Linken“ ausgegeben.
Die vorangegangene „Woche des Stolzes“ hatte den Lesben und Schwulen bereits einen Empfang durch Yael Dayan, eine engagierte Feministin, in der Knesset beschert. Mit Filmvorführungen im ganzen Lande, einer Aktion „Love Boats“ in der Bucht von Haifa und Parties in Tel Aviv und Jerusalem hatten sich die Engagiertesten auf die Love Parade vorbereitet.
Von ihrem Erfolg waren sie am Ende selbst überwältigt. Die Hand vor dem Mund und verschämt kichernd, gestehen auch Gely und Kerem ihre Fehleinschätzung ein. Die erste Love Parade in Tel Aviv war mit knapp 5.000 Teilnehmern ein unerwarteter Erfolg.
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