: Die Psychologie der Behörde
Ausländerbehörde will sich nicht umstrukturieren. Denn: Ein „ganzheitlicher Sachbearbeiter“ ist letztlich „psychologisch unmöglich“ ■ Von Elke Spanner
Auch Mitarbeiter der Ausländerbehörde sind nur Menschen mit Befindlichkeiten. Zur Abschiebung von Flüchtlingen sei die DurchschnittsbeamtIn „psychologisch“ kaum in der Lage, heißt es in einer Stellungnahme der Innenbehörde zu geplanten Umstrukturierungen. Aus dieser Erkenntnis leitet sie nicht etwa die Folgerung ab, daß Abschiebungen inhuman sind. Vielmehr soll damit der Vorschlag der Beratungskommission „Provil“ abgelehnt werden, die für die Ausländerbehörde der Zukunft einen „ganzheitlichen Sachbearbeiter“ plant. Denn der Koaltitionsvertrag zwischen SPD und GAL sieht vor, die Ausländerbehörde „kundenfreundlicher“ zu betreiben. Ein entsprechendes Konzept soll eben jene Arbeitsgruppe „Provil“ entwerfen, in der VertreterInnen der Wohlfahrtsverbände, der evangelischen Kirche, der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer und aus der Behörde sitzen.
Die Ausländerbehörde selbst will laut Sprecher Norbert Smekal den Service etwa durch Merkblätter für die „KundInnen“ und Termine für deren AnwältInnen verbessern. Seit „Provil“ im März die Arbeit aufgenommen hat, kreisen die Diskussionen indes vor allem um die „ganzheitliche Sachbearbeitung“: Statt wie bisher die Akten eines Ausländers von der Erstregistrierung bis zur Abschiebung mehrere Abteilungen durchlaufen zu lassen, könne künftig allein eine Person für einen „Kunden“ zuständig sein, schlägt „Provil“ vor. Der Vorteil, so Anne Harms, die für die kirchliche Beratungsstelle „Fluchtpunkt“ in der Kommission ist: Über den persönlichen Kontakt zwischen den AusländerInnen und den SachbearbeiterInnen könnte ein „Vertrauensverhältnis“ entstehen. Die BeamtInnen könnten „zu-kunftsweisend“ beraten, wodurch nicht zuletzt Abschiebehaft und Zwangsmaßnahmen verhindert werden könnten.
Diese Kundenfreundlichkeit ist nicht nur die Quintessenz der Koalitionsvereinbarung, wie die flüchtlingspolitische Sprecherin der GAL, Susanne Uhl, gestern anmahnte. Sie ist auch genau der Punkt, an dem die Innenbehörde blockt. Nach der langjährigen Begleitung eines Ausländers, so heißt es in ihrer Stellungnahme, würde „die Bereitschaft der Mitarbeiter zur Durchführung der Aufenthaltsbeendigung sinken“, freiheitsentziehende Maßnahmen würden „psychologisch unmöglich werden“ und dadurch sei die „optimale Ausnutzung der Haftkapazitäten“ gefährdet.
Zudem fehle den MitarbeiterInnen das Fachwissen zur kompletten Sachbearbeitung „vollständig“, was nicht zuletzt eine geringere Effizienz der Verfahrensabläufe zur Folge hätte. Das Argument ist indes bereits widerlegt – und zwar durch eine Studie, welche die Innenbehörde selbst in Auftrag gegeben hatte. Zwischen 1994 und 1995 hatte die Unternehmensberatung „Mummert + Partner“ die Strukturen der Ausländerbehörde untersucht. Und zwar nicht, wie die jetzige Beratungskommission, um die Arbeit humaner, sondern um sie effizienter zu gestalten. Trotz der unterschiedlichen Zielsetzung kam die Unternehmensberatung zum gleichen Ergebnis: Sie schlug die „durchgängige Betreuung von der Erstaufnahme bis zur Abschiebung“ vor.
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