: Gallionsfigur mit Wahlfreiheit
■ „Ich will mich nicht als Ausländer definieren“: Zur Diskussion mit den Rapperinnen Mutlu, dem Autor Feridun Zaimglu und dem DJ Alem im Theater am Leibnizplatz
Hier stellt sich nicht mal die Getränkefrage. Diese Szene, Community, Individualistenversammlung trinkt selbstverständlich Afri-Cola. Denn im zweiten Sommer der Plateausohlen ist dieses alte Image von Aufbruch und Libertinage einfach wieder trendy. Und auch ein Idol und Haßobjekt gibt es wieder. Wie damals Dutschke wird er von vielen als Demagoge abgekanzelt. Und diese Reaktion ist nicht die einzige Gemeinsamkeit zwischen dem Immigranten aus Deutschland (Ost) und dem Immigrantenkind aus Kiel, Feridun Zaimoglu, dem Autor der Aufstands-, Haß- und Anklagebücher „Abschaum“ und „Kanak Sprak“. „Es ist gut, daß wir endlich eine Gallionsfigur haben“, schätzt ihn Derya Mutlu, Rapperin aus Bremen-Nord. Und das sagt sie nicht nur, weil Zaimoglu auch auf dem Podium sitzt.
Schon im fünften Jahr lädt das „Referat 33, Ausländerintegration“ des Senators für Frauen, Gesundheit, Jugend, Soziales und Umweltschutz immer mal wieder zur Talkshowreihe „Wir bleiben hier – Einwanderer im Gespräch“. Jetzt, am Montag abend im Theater am Leibnizplatz, diskutieren der besagte Feridun Zaimoglu, Derya und ihre Schwester Sema Mutlu und der Plattenaufleger DJ Alem. Die kluge Moderatorin Nesrin Hagen entlockt ihnen Antworten, Statementhäppchen, Schlagworte ... Mosaiksteinchen. Doch schon das Grußwort bringt Leben in die Bude.
Hinter jeder guten Absicht ist ein Fettnapf versteckt. Hans-Christoph Hoppensack hat als Staatsrat und Vertreter der erkrankten Gesundheitssenatorin Christine Wischer (SPD) nicht die Freiheit, einfach mal den Mund zu halten. Er sagt, wie gut, wichtig und anregend diese Diskussionen sind. Bei diesem Dialog unter Ausländern und zwischen Deutschen und Ausländern solle es ohnehin nicht zugehen wie im Völkerkundemuseum, spricht's und ärgert's Sema Mutlu: „Was der Herr da vorhin sagte, finde ich nicht gut. Ich habe ein echtes Problem, mich als Ausländer zu definieren!“ Von wegen Völkerkunde, es geht um Landeskunde, und manche wollen das nicht wahrhaben.
So wie Heide Simonis, die sozialdemokratische Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein. Ihr Auftritt vor einem Monat in der „III nach 9“-Sendung ist denen auf dem Podium noch immer gegenwärtig. Ein Trio aus dem Ensemble des Jungen Theaters spielte da die aggressiveren Szenen aus der „Kanak Sprak“-Inszenierung (die von heute bis zum 5. Juli jeweils um 20 Uhr wieder in der Friesenstraße zu sehen ist). Gäste wie Norbert Blüm, Harald Juhnke oder Wolf Biermann reagierten betreten. Doch am lautesten gewunden hat sich Heide Simonis. Mit ihrem Kiel und ihrem Deutschland habe das doch nichts zu tun, wehrte sie sich und speiste den mit Talkshow-Einladungen und Interview-Wünschen derzeit überhäuften Zaimoglu auf „Geh doch nach drüben“-Nivau ab. Beklemmend vertraut das. Und: „Die Sozialdemokratie läuft in der Migrationspolitik im falschen Pelz rum“, weiß Zaimoglu jetzt. Die Gallionsfigur von den – na ja –, von vielen – na ja –, von zahlreichen jungen DeutschtürkInnen mag's drastisch.
Und die Begriffe – vor allem von sich – liebt er: „Die Leute wollen den türkischen Malcolm X erleben, wie er das Getto dampfen läßt“, kommt es ihm über die Lippen. Einfach so. Und: „Ich bin nicht nur ein Abiturtürke, nicht nur ein Kanakster, nicht nur ein Deutschländer.“ Später wirft ihm einer aus dem Publikum, der sich als Ahmed vorstellt, so ungefähr vor, daß Zaimoglu die Sprachphantasie über den Realismus stellt und seine Kritik nur destruktiv sei. Das ist mal akademisch, von der Kunst auch das Konstruktive zu fordern. Auch solche Kritik erntet einer, der wie Zaimoglu bei einem der ersten von ungezählten Lebensbrüchen an Akne vulgaris litt, bei den Mädchen nicht ankam und in der Bibliothek verschwand.
Ja, die Mädchen. DJ Alem, der bei türkischen Partys und im Offenen Kanal Platten auflegt, sagt, „die Mädchen gehen wegen der Musik zu den türkischen Partys – und die Jungs, um Mädchen anzubaggern“. Das riecht nach Klischee, und einem, der sich als Sozialarbeiter vorstellt, stinkt es sogar: „Die gehen auf türkische Partys, weil sie in deutsche Discos nicht reinkommen“, sagt er, und: „Das mit der Anmache ist doch bei Deutschen überhaupt nicht anders.“ Darauf Alem: „Doch, es ist anders“, und Derya Mutlu nickt deutlich.
Der DJ Alem ist einfach zu tough für politische Korrektheiten. Und die beiden – übrigens auf deutsch singenden – Rapperinnen Derya und Sema Mutlu sind es auch. „Nein, mein Bruder war nicht Gitarrist in meiner Band, weil er mein Bruder war“, sagt Derya auf eine entsprechende Frage, „ich habe ihn engagiert, weil er ein guter Gitarrist ist.“ Also nichts ist mit Beschützerbruder? Jedenfalls sind auch die – wegen harter Arbeit an der Musik inszwischen überwundenen – Elternbedenken so türkisch wie deutsch. Trotzdem wählt sich diese Generation das Passende aus dem Supermarkt der Möglichkeiten. „Die Deutschen haben doch kein gemeinsames kulturelles Erbe“, sagt Sema zum Beispiel und gehört für eine Weile nicht dazu. Denn: „Die haben Probleme mit der Identität, und dann gibt es diese Bimbophilie, und die Leute lernen Trommeln und Bauchtanz.“ Was für ein Gelächter sie erntet.
„Dürft Ihr wählen?“, fragte eine aus dem Publikum ganz ernst ganz zum Schluß. Die große Mehrheit auf dem Podium sagt ja, hat den deutschen Paß. Es ist eben alles in Afri-Cola. Gab's sonst noch Probleme? Christoph Köster
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