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Zögerliches Engagement

Ein Modellprojekt versucht im Rollbergviertel Nachbarschaft neu zu schaffen. Der arbeitslose Fernfahrer Klaus Kahnke ist einer der wenigen, die sich für das Kiezprojekt begeistern  ■ Von Sabine am Orde

Klaus Kahnke wohnt gern im Neuköllner Rollbergviertel. „Seit 13 Jahren lebe ich jetzt hier“, sagt der 54jährige, „und ich fühle mich wohl.“ Auch nach der Trennung von seiner Frau zog er nicht aus der Siedlung weg. Während viele andere das Viertel verlassen, wechselte Kahnke in eine andere der riesigen Betonburgen. Seine Zweizimmerwohnung, liebevoll mit viel Fichtenholz ausgebaut, liegt im fünften Stock eines riesigen Wohnblocks, am Ende eines scheinbar endlos langen, dunklen Flurs.

„Natürlich ist hier nicht alles toll“, sagt Kahnke, springt auf und läuft zur Kaffeemaschine. „Früher, als ich noch Arbeit hatte, habe ich davon nicht so viel mitgekriegt.“ Damals war der Fernfahrer oft wochenlang unterwegs. Heute ist er arbeitslos und weiß, was im Rollbergviertel vor sich geht.

Kahnke kennt die lärmenden Fahrradrennen und Fußballspiele auf dem Flur, die Jugendlichen, die in den Aufgängen rumhängen. Er weiß von vollgekackten Treppenhäusern und abgerissenen Briefkästen, von Pöbeleien, Drohungen und „diesem Zwischenfall“ im Mai. Da war ein 19jähriger bei einem Streit mit anderen Jugendlichen im Rollbergviertel erschossen worden. Das brachte dem verrufenen Kiez wieder einmal Negativschlagzeilen ein. „Dabei wird es langsam besser“, sagt Kahnke und schlüpft in seine Sandalen. „Aber jetzt muß ich los, um fünf ist Jugendhilfeausschuß.“ Da steht das Modellprojekt auf der Tagesordnung.

In der Rollbergsiedlung ist Kahnke eine große Ausnahme. Er hat bei der Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land, der die 2.000 Wohnungen der Siedlung gehören, eine Mietminderung durchgedrückt wegen der Zustände im Kiez und versucht andere zu mobilisieren, es ihm gleichzutun. Seit einigen Wochen ist er im Mieterbeirat der Wohnungsbaugesellschaft aktiv. In einem Hobbyraum im Keller repariert er die Fahrräder der Nachbarkids. Und kürzlich hat er ein Kinderfest für die Siedlung mit organisiert. „Hier bessert sich nur etwas, wenn wir etwas tun“, sagt Kahnke und zupft an seinem grauen Bart. „Und außerdem bin ich froh, wenn ich etwas zu tun habe.“

Damit ist Kahnke eine Hoffnung für die SozialarbeiterInnen des „Modellprojekts zur kiezorientierten Gewalt- und Kriminalitätsprävention“. Das Projekt versucht seit einem Jahr, die Abwärtsspirale der Rollbergsiedlung aufzuhalten. Zwei SozialarbeiterInnen vor Ort versuchen, Mieter- und Jugendarbeit im Kiez zu intensivieren und zu vernetzen. Unterstützt werden sollen sie von einem Runden Tisch im Rathaus, an dem unter der Federführung von CDU-Bezirksbürgermeister Bodo Manegold überlegt wird, wie es vorwärtsgehen kann im Kiez. Der runde Tisch soll auch die Wege der Bürokratie verkürzen. Die meisten AnwohnerInnen kümmert das wenig. „Viele motzen nur und reden vom Wegziehen“, sagt Kahnke auf dem Weg zur Tür. Zum wöchentlichen Mieterfrühstück komme kaum jemand, klagt er. Auch bei der Kriminalpräventiven Woche, die das Modellprojekt vor einem halben Jahr durchgeführt hat, trafen sich vor allem Fachleute.

Nur wenn bei den Mieterversammlungen von Stadt und Land Sicherheit und Ordnung im Kiez auf der Tagesordnung stehen, dann ist die Mieterbeteiligung groß. Dort wird beklagt, daß sich „ältere Frauen inzwischen nicht mehr vor die Tür wagen“ – obwohl die Straßenkriminalität nach Angaben der Polizei leicht rückläufig ist. Dort beschwert man sich über die „Araber- und Türkenbengels“, die „bis vier Uhr morgens Randale machen“. Dort wird mobil gemacht gegen den Bolzplatz, die neue Streetballanlage und die „Waschküche“, den neuen Jugendtreff im Kiez. Und anschließend werden Unterschriften gesammelt. Mieterbeteiligung haben sich die Initiatoren des Modellprojekts vermutlich anders vorgestellt.

Kahnke war einer der wenigen, die auf der Mieterversammlung die Errungenschaften des Modellprojekts verteidigten: „Wenn es für die Jugendlichen nichts gibt, wird alles noch schlimmer, hab ich damals schon gesagt“, sagt er. Deshalb sprach ihn ein Sozialarbeiter von Stadt und Land an und versuchte ihn für den Mieterbeirat zu gewinnen, der die Wohnungsbaugesellschaft berät. Zwölf AnwohnerInnen sind in dem Beirat heute aktiv, ursprünglich sollten es 20 der etwa 5.000 Menschen sein, die in der Rollbergsiedlung leben. Doch so viele fanden sich nicht.

Besser läuft es mit den Jugendlichen. Mit Streetballturnieren und dem neuen Cafe, der „Waschküche“, berichten die SozialarbeiterInnen des Modellprojekts, habe man im vergangenen Sommer Kids erreicht, die vorher in Hauseingängen und Fluren rumhingen. Die verschiedenen Gruppen seien jetzt auch nicht mehr so getrennt, sondern würden die Einrichtungen zusammen nutzen. Die umstrittene „Waschküche“ liegt in Kahnkes Haus in der Falkstraße. Begeistert ist auch er nicht von dem Krach, den es hier manchmal gibt. „Das ist besser, als wenn sie auf meinem Flur rumhängen.“

Das Neuköllner Rathaus ist nur ein paar Blocks von den Rollbergen entfernt. Der Jugendhilfeausschuß tagt im ersten Stock. Ein „Schnellschuß“ sei der Start des Projekts in Neukölln gewesen, kritisiert Stephan Voß von der Landeskommission gegen Gewalt, der das Projekt mitkonzipiert hat. Statt wie notwendig mit einer Analyse der Situation vor Ort unter Beteiligung der MieterInnen zu beginnen, habe man auf Aktionen gesetzt – und so die MieterInnen gegen das Projekt aufgebracht. Voß reicht auch das Engagement der politisch Verantwortlichen nicht.

„Das Projekt entwickelt sich nicht so, wie sich die Erfinder auf dem Reißbrett das gedacht haben“, schießt Jugendstadtrat Heinz Buschkowsky (SPD) zurück, der nie einen Hehl aus seinen Zweifeln an dem Projekt gemacht hat. Seiner Ansicht nach geht die Arbeit vor Ort nicht über „traditionelle Jugendarbeit“, der Runde Tisch im Rathaus nicht über „Bewußtseinserweiterung der einzelnen Teilnehmer“ hinaus: „Das Gremium diskutiert seit sieben Monaten seine eigene Rolle.“ Mit verschränkten Händen, den Blick an die Decke geheftet, verfolgt Klaus Kahnke den Schlagabtausch.

Auch Gabriele Heinemann, die seit mehr als 15 Jahren im Mädchentreff MaDonna im Rollbergviertel arbeitet, ist unzufrieden mit dem Modellprojekt. Sie fordert Jugendstadtrat Buschkowsky auf, endlich Verantwortung zu übernehmen für das Projekt. Dessen Konzeption kritisiert sie zudem, weil diese vor allem gewalttätige Jungen stütze. „Das geht auf Kosten der Mädchen“, sagt Heinemann, „die in der Siedlung immer weniger Raum haben.“

Darüber haben sich die SozialarbeiterInnen im Kiez verkracht, auch am Runden Tisch im Rathaus läuft es nicht gut. Die Zusammenarbeit zwischen Bezirk und Land funktioniert schlecht, die wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts ist mit einjähriger Verzögerung gerade erst angelaufen. Nun ist auch noch offen, ob die Landesstiftung für Jugend und Familie, die in Neukölln und Friedrichshain neben dem Bezirk die je zweite Stelle finanziert, das Projekt auch im zweiten Jahr fördert. Entscheidet sie sich in der kommenden Woche dagegen, könnte das das Aus des Modellprojekts sein.

Kahnke versteht die Debatte im Jugendhilfeausschuß nicht. „Das hörte sich so an, als ob es überhaupt keine Erfolge gibt“, sagt er später. Er habe den Eindruck, daß das Projekt bereits auf der Abschußliste stehe. Dabei weiß Kahnke aus eigener Erfahrung mit Mietermobilisierung in seinem Haus: „Wenn sich hier etwas verändern soll, dann muß man den Leuten Zeit geben. Mit einem oder zwei Jahren ist das nicht getan.“ Und schließlich ist er selbst ein gutes Beispiel dafür, daß Mietermobilisierung auch in einem Viertel wie den Rollbergen funktionieren kann.

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