: Verkehrsentlastung nur mit Umsteuern
■ Umweltgruppen stellen interne Planung der Verkehrsverwaltung vor: Ohne drastische Eingriffe keine Chance auf Verkehrsreduzierung
Wenn der Senat seine eigene Verpflichtung zum Vorrang des öffentlichen Nahverkehrs vor dem Auto in der Innenstadt ernst nimmt, muß er in den nächsten Jahren in der Verkehrspolitk scharf umsteuern. Das ist das bisher interne Teilergebnis des „Stadtentwicklungsplanes Verkehr“, der derzeit federführend von der Verkehrsverwaltung erarbeitet wird. Die vorläufigen Ergebnisse dieser Planungsgruppe von Verkehrs- und Umweltverwaltung und Verkehrsinitiativen machten gestern die Verkehrsinitiativen publik.
Die Verwaltungen haben zwei Szenarien erstellt: Variante A, die von Eingriffen in den Autoverkehr zugunsten des Nahverkehrs ausgeht; und Szenario B, das die bisherige Verkehrspolitik fortschreibt. Ergebnis der Arbeitsgruppe: Nur bei der Verwirklichung des Szenarios A wird das per Senatsbeschluß festgesetzte Ziel von einem Verhältnis von 80:20 zwischen Nahverkehr und Autoverkehr in der Innenstadt annähernd erreicht. Das „Weiter-so“-Szenario B führt im Jahr 2010 nach den Berechnungen der Verwaltung zu einem Verhältnis von 63:37 und verfehlt damit das Senatsziel deutlich.
Für die Durchsetzung der A-Variante muß laut Axel Stein von der Initiative „Berlin 21“ vor allem das BVG-Angebot verbessert werden. Parkzonen sollen ausgeweitet, Parken soll auf 5 Mark pro Stunde verteuert werden, flächendeckend soll Tempo 30 außer auf Hauptstraßen gelten, breite Straßen sollen auf insgesamt vier Spuren reduziert werden. Die Initiativen kritisierten, daß beide Varianten neben Investitionen in den Nahverkehr von 2 Milliarden auch Ausgaben von 3 Milliarden für den Straßenverkehr vorsehen.
Im A-Szenario geht die Zahl der gesundheitsgefährdend von Lärm betroffenen Menschen (bisher 190.000) auf 103.000 zurück – beim B-Szenario dagegen wächst sie auf 270.000. Dramatisch ist die Situation beim krebserregenden Ruß: Selbst beim „Ökomodell“ A werden die Grenzwerte an jeder vierten Straße überschritten. Bei Verfolgung von Modell B droht die Überschreitung des Grenzwerts an drei von vier Straßenabschnitten. Auch beim Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid zeigt sich beim Szenario B eine Zunahme um 30 Prozent, während er in der A-Variante etwa gleichbleibt.
Die Verkehrsverwaltung betont, aus den Szenarios würde jetzt ein „Umsetzungsszenario“ erstellt, das im Herbst dem Senat vorgelegt werde. Georg Müller, Referatsleiter für Verkehrsentwicklung, monierte, die Umweltgruppen bezögen sich für die 80:20-Forderung auf die falsche Größe. Nicht die Innenstadt im „kleinen Hundekopf“ zwischen Skalitzer Straße, Torstraße und Invalidenstraße sei laut Senatsbeschluß von 1991 das Referenzgebiet, sondern der „Zentrale Bereich“ um die Parlamentsbauten, für die viel bessere Werte vorlägen. Die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD von Januar 1996 widerspricht dieser Auffassung allerdings. Hier heißt es: „Ziel bleibt die Umsetzung der Verkehrsaufteilung im Zentralen Bereich (,Kleiner Hundekopf‘) von 80:20.“ Bernhard Pötter
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