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Memoiren eines Verschollenen?

■ Tot, verschwunden, abgetaucht? Vom Berliner Ex-Kommunarden D. Kunzelmann fehlt jede Spur

Berlin (taz) – Rund 220 Seiten wird das Buch dick sein, illustriert mit Fotos und historischen Dokumenten. Im September ist Erscheinungstermin. Ein Autobiographie mit dem unverfänglichen Untertitel „Bilder aus meinem Leben“. Nur weiß bis heute keiner, ob dieses Leben beendet ist. Memoiren eines Totgesagten, eines Toten oder „nur“ die eines Verschollenen? Im nachhinein gibt eine Aussage zu denken. „Organisiert keine Lesungen oder Talkshows. Mit mir könnt ihr nicht rechnen“, hatte der Autor seinen Verleger gewarnt. Das war, bevor in der Berliner Zeitung eine Todesanzeige mit dem Namen Dieter Kunzelmann erschien, von der einige nun mutmaßen, der dort Totgesagte habe sie, als Frau verkleidet, selber aufgegeben.

Am 3. April dieses Jahres hatte die Todesanzeige mit dem Namen und dem Geburtsjahr des Ex- Kommunarden für Irritationen gesorgt. Der Anzeigentext „Nicht nur über sein Leben, auch über seinen Tod hat er frei bestimmt“ hatte den Schluß nahegelegt, der 58jährige habe sich das Leben genommen. Eine Vermutung, die Kunzelmann nahe Stehende bis heute nicht glauben können. „Dieter war eine Kämpfernatur, dafür ist er nicht der Typ“, sagt eine gute Freundin. Ein makabrer Scherz also? Das würde so recht zu dem Mann passen, der sich in den vergangenen Jahren bei seinen öffentlichen Auftritten mehr und mehr in der Rolle eines keifenden Politclowns gefiel. Für Polizei und Justiz war Kunzelmann schon einige Zeit vor seinem Verschwinden nicht zu erreichen. Sechs Monate Gefängnis sollte er für die Eierwürfe auf das Auto und den Kopf des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen verbüßen. Dafür nicht, beschied Kunzelmann und tauchte Ende letzten Jahres in Berlin unter. Wo er in dieser Zeit wohnte, gilt bis heute als geheim. Aber zumindest für Freunde und Bekannte war er zu erreichen.

Doch seit der Todesanzeige vor drei Monaten fehlt jedes Lebenszeichen von ihm. Spätestens Ostern, auf einem Treffen der 68er-Veteranen, würde er ganz „kunzelgerecht“ Wiederauferstehung feiern, hatten einige gehofft. Himmelfahrt wäre auch so ein Termin gewesen. Aber beide Daten sind längst verstrichen und keine Spur nirgends von dem Ex-Kommunarden – nicht in Skandinavien, wo ihn die einen vermuten, nicht in Italien, wo ihn andere wähnen. Für die Justizbehörden gilt Kunzelmann weiterhin als Person, nach der mit Haftbefehl gefahndet wird. Bei Freunden macht sich neben Irritation und Ärger inzwischen auch Besorgnis breit: „Wenn er wenigstens mal anrufen würde. Er könnte doch einfach nur sagen: Alles in Ordnung, und wieder auflegen. Aber einfach so verschwinden und eine Todesanzeige hinterlassen, das macht man einfach nicht mit Leuten, die einen mögen.“

Einigermaßen konsterniert hatte auch der Berliner Transit- Verlag, bei dem Kunzelmanns politische Autobiographie erscheinen wird, die Todesanzeige gelesen. Im September war der Vertrag mit dem Autor abgeschlossen worden, und Kunzelmann hatte einen kleinen Vorschuß erhalten. Daraufhin hatte der Politikaktivist zentnerweise akribisch geordnetes Archivmaterial aus der APO-Zeit in den Verlag geschleppt. Unter dem Obertitel „Leisten Sie keinen Widerstand!“ lieferte er – handschriftlich und termingerecht – im Dezember das letzte Kapitel seiner Erinnerungen ab.

Alles andere als ein Testament, sondern „ein witziges, sehr politisches Buch“, schwärmt Rainer Nitsche, Kunzelmanns Lektor, „und einige seiner Weggefährten werden sich ärgern“. Die Lebenserinnerungen enthalten nichts, was auf ein bevorstehendes Verschwinden oder gar einen Selbstmord hindeuten würde. „Das Buch ist nicht die Spur resignativ oder nostalgisch, da ist eine bewunderswerte Energie in den Texten“, meint Nitsche. „Uns war klar, daß er irgendwann abtauchen würde, aber wir haben damit gerechnet, daß er auch wieder auftaucht“, heißt es beim Verlag. Inzwischen geht man davon aus, das Buch im Herbst ohne den Autor präsentieren zu müssen.

Wie die „Bilder aus meinem Leben“ enden, will der Transit-Verlag nicht preisgeben, obwohl sich seit der rätselhaften Todesanzeige Medien und Fimproduktionen um Druckfahnen und Filmrechte reißen. Wäre es nicht so makaber – bessere Public Relations als die Totsagung seines Autors könnte sich ein Buch kaum wünschen. Der Schlußsatz der Erinnerungen bleibt also vorerst ungeschrieben. Nur soviel steht fest: Kunzelmann selbst läßt seine Memoiren enden, wie manche es von ihm erwartet hätten – mit einer analytisch-spaßigen Abhandlung über den Eiwurf als Mittel des politischen Protestes. Vera Gaserow

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