: Würmer im Stundenglas eines Riesen
■ Kino als Fata Morgana: Das Metropolis zeigt ein pralles Programm mit Wüsten-Filmen Von Birgit Glombitza
Die Wüste ist nicht ganz von dieser Welt. Über ihr schwitzt sogar der Himmel. Und unter dem Fieberbett braucht es kein LSD mehr, um dem Teufel zu begegnen. Jesus und andere Aureolenträger des virtuosen Martyriums haben es getestet. Die Wüste ist ein Trip. Und wer davon zurückkehrt, ist nicht mehr der Alte.
Die Wüste ist das Fremde schlechthin, als delirierendes Zwischenreich der Verwandlung, in dem großspurige Missionen leicht im Sande verlaufen, ist sie eine dankbare Filmkulisse. Für erotische Märchen ebenso wie für kolonialistische Melodramen oder exotische Abenteuerfilme. Das Metropolis zeigt unter dem Titel „Cinema Arabica“ zwei Monate lang einen ausgiebigen Querschnitt aus dem Reich der Flaschengeister und Wasserpfeifen.
In der Sahara, in der die Zeit zu flocken beginnt, feiert sogar das Hollywood-Kino das Zeremoniell der Langsamkeit. Seine Vorliebe für größere Dimensionen läßt die prächtigen Karawanen wie ahnungslose Würmer im Stundenglas eines Riesen durch die Supertotalen kriechen. Und das kann dauern. Wie auch jener ausführliche und berühmt gewordene Blick des Lawrence von Arabien auf eine ferne Staubwolke, die ganz langsam die Konturen eines Reiters freigibt. Mit dem dreieinhalbstündigen Epos über den britischen Offizier, der 1916 die arabischen Stämme zum Kampf gegen die Türken verbrüdern soll, kippt Regisseur David Lean den Kolonialismus auf der Leinwand, den Filme wie Die letzte Patrouille von John Ford oder Drei Fremdenlegionäre von William A. Wellmann grundierten, ins Fatalistische. Leans Held verliert beim Spagat zwischen der Identifikation mit dem Fremden und der Eroberungspolitik seiner Auftraggeber endgültig den Glauben an die gerechte Sache britischer Kriegslobbyisten.
Im Sandmeer gerinnen die Koordinaten abendländischer Vernunft, verlieren die Erzählungen ihren Faden. Die Wüste ist verzeitlichter Raum und verräumlichte Zeit zugleich. Ein unerträgliches Spannungsfeld für alle Zivilisationsmüden, wie Port und Kit Moresby in Himmel über der Wüste, die hier nach einem Mysterium fahnden. Ein bißchen Zauber gegen stumpfe Abgeklärtheit. In Bernardo Bertoluccis Verfilmung von Paul Bowles' existentialistischem Abgesang auf New Yorker Spätflaneure und Lebenspopler der ausgehenden 40er Jahre gibt es am Ende kein-en Focus, keine verbindliche Wahrnehmung mehr. Bei der Suche nach dem eigenen Leben im fernen Afrika verliert das Paar am Ende alles. Erst das Gefühl, dann die Sprache, am Ende den Verstand.
Spielend leicht haben es da die Märchenfilme wie Wolfgang Staudtes Die Geschichte vom kleinen Muck oder Der Dieb von Bagdad von Clive Donner. Sie können alle Schatzkisten des Orients plündern, jedes Trugbild, jedes Zeitloch zum Sprungbrett in die nächste Phantasie nehmen. Diese Erzähltechnik machte sich Pier Paolo Pasolini 1974 für seine Erotischen Geschichten aus 1001 Nacht zunutze. Da werden alle Kostüme und Baudenkmäler zwischen Abessinien und Indien zusammengeworfen, damit das Abendland der 70er Jahre Pasolinis sexuelle Oasen bloß nicht stört. Mischt es sich doch in Gestalt eines schurkischen Europäers unter die Lustwandelnden, treibt sie gar auseinander. Aber zum Schluß spendiert der Film den Geschädigten zum Trost ein noch ferneres Königreich.
Erotische Verheißungen sind stets ein beliebtes fernöstliches Reiseziel. Ob in Gestalt Marlene Dietrichs in Josef von Sternbergs Marocco oder Brigitte Helms in Die Herrin von Atlantis von G.W. Pabst. Die betörende Ferne: ein Topos, der jede Düne als weibliche Rundung umarmt, jeden Sturm als zickige Laune fürchtet. Auch das ist eben nicht wirklich von dieser Welt. Das ist die Fata Morgana des Kinos.
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