: Das Wetter: Jaa! Wundermeteorologe Klaus Gagel ist frei!
Wie alles begann: Anfang des Sommers sah alles noch sehr gut aus. Aus Offenbach am Main mehrten sich die Vorzeichen für einen ordentlichen mitteleuropäischen Jahrhundertsommer. Namentlich ein Meteorologe des Deutschen Wetterdienstes, eben Klaus Gagel, machte sich um Sonnenschein und blauen Himmel verdient. Er wurde daraufhin zum Lieblingsmeteorologen der Wahrheit ernannt. Welcher Schreck, als Klaus Gagels Name plötzlich aus den Offenbacher Mitteilungen völlig verschwand – und mit ihm auch noch jede Andeutung sommerlicher Verhältnisse. Wochenlang haben wir nach Gagel gesucht, zuletzt keine Kosten gescheut und die Bottroper Yps-Detektei mit der Auffindung von Klaus Gagel beauftragt. Sie haben es geschafft: Nach vielen Umwegen fanden sie ihn gestern an seinem Wohnort im Rhein-Main-Gebiet. Wohlbehalten. Wir fuhren sofort hin.
taz: Herr Gagel, wir haben Sie vermißt. Wo waren Sie so lange?
Klaus Gagel: Die Erklärung ist ganz einfach: Ich wollte auf eigenen Wunsch aus der Behörde Deutscher Wetterdienst ausscheiden. Seit dem 1. Juli bin ich also kein Beamter mehr, sondern freiberuflicher Meteorologe, wahrscheinlich Deutschlands erster.
Sie wurden also nicht weggemobbt?
Ganz im Gegenteil. Meine Kollegen waren am Ende traurig, daß ich gegangen bin. Die Arbeit in dem Team hat mir viel Spaß gemacht, aber jetzt habe ich eine neue berufliche Herausforderung gefunden: Ich werde das Vermögen fremder Leute verwalten – eine Tätigkeit, die ich schon jahrelang und intensiv hobbymäßig betrieben habe. Nichtsdestotrotz bleibe ich natürlich Diplommeteorologe und Meteorologe von ganzem Herzen, und natürlich gucke ich mir jeden Tag alle möglichen Wetterkarten an.
Wo kriegen Sie die her?
Aus dem Internet. Als Meteorologe kann man sich sehr gut im Internet mit Daten versorgen. Im Internet gibt es alles, was Sie brauchen, um Wettervorhersagen zu erstellen. Ich habe Zugriff auf alle US-amerikanischen Produkte für Europa, unter anderem auch vom europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersagen in Redding. Vom Deutschen Wetterdienst gibt's nicht so viel im Internet. Die haben eine sehr restriktive Datenpolitik, d.h. für die meisten Informationen muß man bezahlen.
Was war Ihr erster Berufswunsch?
Meteorologe. Ich habe eigentlich schon immer zum Himmel geguckt und mich gefragt, was da passiert und warum es passiert. Als kleiner Junge hatte ich ein Thermometer und ein Barometer, und mit Hilfe der populärwissenschaftlichen Literatur habe ich mir dann schon zu Schulzeiten viel Wissen angeeignet.
Werden Sie den Deutschen Wetterdienst vermissen?
Natürlich wird mir die Arbeit fehlen. Schließlich habe ich das neun Jahre lang begeistert gemacht, und vor allem hatte ich auch Zugriff auf die neuesten Entwicklungen. Aber ich bleibe ja Meteorologe.
Und Sie haben versucht, die guten Seiten am Wetter zu sehen.
Ja. Es wird oft viel zu schlecht über das Wetter geredet. Deshalb habe ich auch während meiner Zeit beim Deutschen Wetterdienst darauf geachtet, die Wetterlage mit positiven Worten zu erklären. Für uns Mitteleuropäer gibt es nämlich eigentlich keinen Grund zur Klage, selbst wenn es mal kühl ist im Sommer. Wir haben hier immerhin Abwechslung. Ein paar kühle Tage, wo wir gut schlafen und gut arbeiten können; wo es auch mal regnet und die Pflanzen grün bleiben – und dann wieder eine paar schöne Tage, wo es über dreißig Grad warm wird, worüber man sich dann freuen kann. Deshalb ist es nicht richtig, wenn über das Wetter geschimpft wird, weil es im Sommer regnet. Überlegen Sie mal, was passieren würde, wenn in einem Juli nur die Sonne scheinen würde: Mitteleuropa wäre innerhalb von 30 Tagen völlig ausgedörrt.
Was ist Ihre Lieblingstemperatur?
Gar nicht so sehr die Temperatur über dreißig Grad. Mir reicht es, wenn's 25 Grad hat und die Sonne scheint. Das ist mir am angenehmsten, wenngleich ich nichts dagegen habe, wenn es an einigen Tagen auch mal knallig heiß ist, weil man dann nämlich am Abend und in der Nacht sehr schön lang draußen sitzen oder auf Feste gehen kann. Diesen Hochsommer mag ich auch sehr gerne.
Bevor wir über diesen Sommer reden: Wie weit können Sie in die Zukunft sehen?
Ich habe über das Internet Zugriff auf die Zehn-Tage-Vorhersagen der Amerikaner. Das Europäische Zentrum für Mittelfrist-Vorhersage rechnet auch zehn Tage bzw. 240 Stunden, der Deutsche Wetterdienst rechnet 168 Stunden in die Zukunft, also sieben Tage. Man kann also Mittelfristvorhersagen im Bereich von sieben bis zehn Tagen einigermaßen seriös auf Basismaterial gestützt machen. Über diesen Zeitraum hinaus wird es schwierig. Beim Europäischen Zentrum für Mittelfrist- Vorhersage beschäftigt man sich damit und hat auch schon Modellrechnungen gemacht, aber es ist noch viel zu früh, um zu sagen, man hätte dort schon Durchbrüche erzielt. Man kann einigermaßen genau Mittelwerte voraussagen, aber das nützt natürlich den meisten Leuten herzlich wenig zu wissen, daß es beispielsweise am fünfzehnten Tag durchschnittlich ein Grad zu kühl in Mitteleuropa sein wird. Die Wettervorhersage wird mit zunehmender Vorhersagedauer eben immer ungenauer. Detailwissen, ob es in Berlin regnen und in Freiburg die Sonne scheinen wird, ist auf so lange Sicht nicht möglich.
Trotzdem: Wie wird der Sommer?
Wir haben ja jetzt schon einen Monat meteorologischen Sommer gehabt. Jetzt hat sich leider Ende Juni eine Situation über Mitteleuropa eingespielt, die eher eine Westwetterlage kennzeichnet. Die ist relativ stabil, d.h. sie neigt dazu, sich immer wieder zu regenerieren. In den Ensemble- Vorhersagen der Amerikaner mit den Spaghetti-Plots – die Amerikaner rechnen ihr Mittelfrist-Modell noch zwölfmal nach, aber mit unterschiedlichen Anfangsbedingungen – wird vorhergesagt, daß die Westwetterlage im Bereich Nordatlantik/Mitteleuropa anhalten soll. Damit ist bis zum Samstag, den 11. Juli, in Deutschland nicht mit hochsommerlichen Temperaturen zu rechnen. Das ist eine gewagte Aussage, aber sie wird durch verschiedene Modelle schon eine Zeitlang gestützt. Es zeichnet sich ab, daß wir immer kühle Luft vom Atlantik her bekommen, weshalb die heiße Luft und auch die Hochdruckgebiete über Mitteleuropa nur wenig Chancen haben. Man muß eher davon ausgehen, daß es wolkenreich und zu kühl sein wird, und daß auch immer wieder mit Regen zu rechnen ist. Leider. Die Sonne wird nur vorübergehend kurzfristige Chancen haben. Ich denke, mit 25 Grad in Süddeutschland, vielleicht auch mal 26, höchstens 27 Grad wird in den nächsten Tagen das Ende der Fahnenstange erreicht sein. Am Montag, vor allem am Dienstag, kommt aber bereits wieder ein Schwall polarer Luft und läßt die Temperaturen wieder sinken: Es ist keine hochsommerliche Witterungsphase abzusehen. Meine Frau meinte schon, seit ich nicht mehr beim Deutschen Wetterdienst bin, hätten die Kollegen das nicht mehr im Griff.
Das ist auch unsere Theorie. Welche Orte sollten wir Freunde des Sommers jetzt prinzipiell meiden?
Auch auf die Gefahr hin, daß ich mich jetzt bei einigen Bewohnern Norddeutschlands unbeliebt mache: Im Sommer in Norddeutschland hat man es schwerer, außer vielleicht in Seenähe, aber auch in Nordrhein-Westfalen. Von der Sonnenscheindauer und den Temperaturen her – was ja beides dazu beiträgt, daß man einen guten Eindruck vom Sommer hat, haben wir einen Nordwest/ Südost-Kontrast. München und Dresden würde ich gegenüber Hamburg und dem Ruhrgebiet klar bevorzugen.
Wer ist Ihr Weltmeister?
Ich glaube, Deutschland wird es nicht, dazu haben sie zu schwach gespielt. Ich bin von zwei Mannschaften begeistert: den Brasilianern und den Holländern. Die wünsche ich mir ins Finale, und da wäre es schön, wenn die Brasilianer 3:1 gewinnen.
Interview: Carola Rönneburg
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