: Gefahren lauern überall
Im Literaturbetrieb herrscht nach der Übernahme des Berlin Verlags durch den Bertelsmann-Konzern Katzenjammer. Doch viele Befürchtungen stammen aus der Rumpelkammer dogmatischer Werturteile ■ Von Thomas Wörtche
„Auf einem gewissen Höhengrad“, heißt es in Marx' „Kapital“, bringt die Konzentration der Produktivkräfte „die materiellen Mittel ihrer eigenen Vernichtung zur Welt“. In manchem aufgeregten Kommentar zur Übernahme des Berlin Verlags durch Bertelsmann (oder zur „Beteiligung“ – die Sprachregelung ist schon Interpretation) spürt man fast freudige Erregung: Jetzt ist es soweit, bald sind nur noch die beiden Verlagsimperien Holtzbrinck und Bertelsmann übrig, und wie's dann weitergeht, weiß man ja: „Je ein Kapitalist schlägt viele tot“ (K. Marx). Also bleibt nur einer übrig, und der vernichtet sich schließlich selbst.
Bleiben wir lieber auf dem Boden. Da sind die Verhältnisse kompliziert genug. Zum Berlin-Bertelsmann-Deal so viel: Die Mitgesellschafter Unseld (Suhrkamp) und Andreas Reinhart, der auch Geld bei Suhrkamp/Insel stehen hat, sind ausgeschieden, die Quandt-Gruppe, repräsentiert durch Hans Graf von der Goltz, läßt ihr Kapital bei Berlin stehen. Neuer Mehrheitseigner ist die Bertelsmann Buch AG. Berlin-Chef Arnulf Conradi wird „Verleger“ des Bertelsmann-Imprints Siedler und bleibt gleichzeitig „Verleger“ des Berlin Verlags. Den Spezialisten für deutsche Literatur, Matthias Gatza, hatte Conradi unabhängig von Bertelsmann zuvor schon von Eichborn geholt. Für den Berlin Verlag ist, glaubt man den Beteuerungen aller Beteiligten, der Deal nicht ungünstig. Der Verlag war nicht pleite, hat jetzt aber einen größeren finanziellen Spielraum. Und mit den diversen Bertelsmann-Taschenbuchprogrammen einen festen Abnehmer für Lizenzen, obwohl die Verträge angeblich nicht verpflichten, Taschenbuchauswertungen exklusiv mit Bertelsmann abzuwickeln.
Monopolbildungen soll und muß man immer mit großer Skepsis betrachten. Doch die bösen Großen und die guten Kleinen gibt es nicht. Die guten Großen auch nicht. Weder sind die beiden Riesen omnipotent, noch sind die „Blockfreien“ allesamt wehrlose Hascherl. Ullstein mit Springer ist kein Winzling. Piper mit Malik und Kabel gehört dem schwedischen Mischkonzern Bonnier. Es gibt die finanzstarke Lübbe-Gruppe, es gibt Heyne oder Hoffmann & Campe in der Vierjahreszeiten- Gruppe. Dann sind da die „mittleren“ Häuser: Suhrkamp/Insel, der Hanser Verlag, der sich kürzlich Zsolnay einverleibte und viel Geld mit technischen Fachbüchern verdient, Beck (gestützt durch juristische Fachliteratur und Gesetzestexte), die kleineren Gruppen wie Reclam oder Aufbau mit Ruetten& Loening nebst Gustav Kiepenheuer oder auch die Luchterhand-Limes-Volk&Welt-Gruppe. Und es gibt die kleinen Verlage, die relativ deckungsfrei operieren: Wagenbach, Links, Nautilus et al. Alle können sie Bücher verkaufen, alle sind sie öffentlich präsent, alle haben sie's nicht leicht. Das unterscheidet sie nicht von anderen Wirtschaftszweigen. Anspruch auf problemloses Dasein kann ernsthafterweise niemand erheben in dieser Welt.
Alle Zwerge und Riesen gleichermaßen müssen ihre Bücher ans Lesevolk bringen. Zwischen Verlag und Leser aber sitzt der Buchhandel, zwischen Buchhandel und Verlag die Grossisten. Die gehören in der Regel nicht den Buchriesen, üben aber enormen Einfluß aus. Es hat keinen Sinn, allein über „Konzentration“ im Verlagswesen nachzudenken, ohne die „Distribution“ (K. Marx) mitzudenken. Buchhandelsketten und -kaufhäuser haben ebenso „programmgestalterische Macht“ wie Grossisten, die über die Verfügbarkeit von Titeln entscheiden. Der Internet-Buchhandel wird weitere Verwerfungen bringen.
Das erzeugt eine Sorge: Gute Literatur geht vor die Hunde. Diese Sorge ist höchst legitim, bringt aber schrille und dogmatische Töne in die Diskussion. Die Süddeutsche Zeitung zitiert am 29.6. einen Berliner Literaturfunktionär mit dem Verdikt, das Bertelsmann-Buchprogramm sei insgesamt „Scheiße“. Wenn das Zitat stimmt, gibt es eine gewisse Stimmung im Literaturbetrieb, um nicht zu sagen: ein bequemes Vorurteil wieder. Alle großen Verlage und ihre Taschenbuchreihen sind lebensnotwendig für kleine, feine Hardcover-Verlage ohne eigene Taschenbuchverwertung. Das btb- Taschenprogramm aus der Verlagsgruppe Bertelsmann zum Beispiel speist sich zu zirka 35 Prozent aus solchen Lizenzkäufen. So erscheinen bei btb Burkhard Spinnen oder Hanna Krall, um nur zwei prominente Beispiele zu nennen. Alles „Scheiße“?
Ähnliches gilt für Holtzbrinck und dessen Fischer- und Rowohlt- Taschenbücher. Piper hat Taschenbuchverwertungen zum Beispiel von Rotbuch und Haffmans im Programm, ähnliches gilt für Droemer-Knaur und Heyne. Die „Kleinen“ wären ohne diese Art der „stillen“ (wenn auch nicht uneigennützigen) Subventionen kaum überlebensfähig. Die Gelder, die dergestalt fließen, versetzen sie auch in die Lage, ihre eigenen eigensinnigen, „nichtgängigen“ Projekte zu betreiben. Daß Taschenbuchrechte immer „teurer“ werden (weil die Großen mehr hinlegen), nutzt den Kleinen, denn Kleine kaufen selten Taschenbuchlizenzen von Großen. Warum auch?
Zweite Panikmache: Die Großen können für alles und jedes soviel Geld hinlegen, daß die Kleinen keine Chancen mehr haben, an gute, erfolgversprechende Bücher zu kommen. Richtig. Natürlich können Imperien sechs- und siebenstellige Summen für ihren Bestsellertrash zahlen. Aber was um Himmels willen wollte ein fröhlicher Links-Anarcho-Verlag wie Nautilus beispielsweise mit einem rechten Waffenfetischisten wie Tom Clancy?
Das führt zum nächsten Punkt: Die Konzerne sind unfähig, Qualität zu „generieren“ (FAZ). Das mag so sein. Die Kleinen generieren in der Tat „Qualität“ – von Zoe Jenny (FVA) bis Ingo Schulze (Berlin Verlag). Doch vorhandene Qualität effektiv zu „verwerten“ ist allemal besser, als Qualität nur zu generieren, dann aber nicht zu verwerten: besser für die Leser (vernünftige Preise) und besser für die Autoren (vernünftige Honorare). Auch das kann man bei K. Marx nachlesen unter dem Stichwort „Arbeitsteilung“.
In diesem Zusammenhang spukt gern ein doppeltes Mißverständnis durch die Köpfe: Was hochwertig ist, läßt sich nur schwer verkaufen, deswegen müssen Ladenhüter hochwertig sein. Es gibt eine Art Literatur, die radikal und intentional für ein Minderheitenpublikum gemacht ist. Wer „radikale Avantgarde“ (wie immer das aussieht) schreibt, der kann nicht auf 100.000er-Auflagen hoffen. Das war historisch so, das ist auf der ganzen Welt so, das wird immer so sein, außer man runderneuert das Menschengeschlecht. Wichtig ist, daß solche „Minderheitenprogramme“ stattfinden können. Das müssen sie sogar. Dringend und notfalls per Dekret. Wer Gelder für öffentliche Bibliotheken streicht, die von kleinen Verlagen dringend gebraucht werden, greift eben auch ungut in die Literatur ein. Denn klar: Der „Markt“ kann im Buchgeschäft nicht alles regeln. Bücher sind eine besondere Ware, weil sie Ideelles transportieren und weil ästhetisch Anspruchsvolles eben nicht in Angebot-und-Nachfrage-Kategorien aufgeht. Man kann aber auch nicht so tun, als ob es „Markt“ nicht gäbe. Für eine gewisse Art von Literatur ist er sogar sinnvoll, weil er Autoren zu Überlegungen anstacheln kann, wie sie das kommunikative Potential ihrer Literatur entfalten wollen. Dazu gehören gute Kriminalromane, avancierte Science-fiction, sinnvolle Abenteuerromane, spannende Essayistik und andere Texte, die ein breites Publikum dringend brauchen.
Für Literatur aber, die ihr kommunikatives Potential als sekundär einschätzt (weil es ihr um „Selbstvergewisserung“, „Autonomie“ oder was immer geht), also „hermetische“ Lyrik, „experimentelle Prosa“ und alle Textsorten, die die Evolution von Literatur on the long run dringend braucht, kann „Markt“ tödlich sein. Eine metaphysische oder gar moralische Letztbegründung zugunsten eines der beiden Konzepte gibt es nicht, auch keine probate Lösung für das wirtschaftliche Dilemma. Ästhetische Debatten über diesen Punkt wären allerdings sinnvoller als apriorische Werturteile.
Aus der Rumpelkammer dogmatischer Werturteile kommt auch ein „nationalliterarischer“ Dreh, der mich leicht schaudern läßt. Deutsche Literatur boomt glücklicherweise zur Zeit an allen Ecken und Enden. Dennoch scheint man es besonders den Konzernen übelzunehmen, daß sie sich Zugriffsrechte auf internationale Literaturen sichern. Sind letztere automatisch minderwertig, weil nicht deutsch? Verwerten Konzerne (siehe oben) nicht auch gute deutsche Literatur? Sollen sie partout noch den letzten Schrott groß rausbringen, aber nicht etwa Spitzenautoren aus dem Ausland? Die alte Bauernregel sagt: 80 Prozent aller Bücher sind Schrott und Schotter, finanzieren aber die 20 Prozent Perlen. Deutscher Schrott kann nicht wertvoller sein als ausländische Perlen. Und umgekehrt! Ich möchte auch weiterhin „schwierige“ ausländische Autoren jederzeit auf deutsch kaufen können – von Ullstein, Rowohlt, Goldmann, gern auch Suhrkamp.
Noch eine unschöne Erkenntnis zum „Zentralismus“ von Imperien: Konzerne wie Holtzbrinck und Bertelsmann haben wichtige amerikanische Verlage gekauft. Kürzlich erst sorgte die Übernahme von Random House durch Bertelsmann für Schlagzeilen. All diese Verlage müssen als wirtschaftliche Einheiten Gewinn machen. In der Regel gehören ihnen nicht die Weltrechte an den Büchern. Darum konkurrieren alle, unabhängig von den „Mutterhäusern“. Wenn Arnulf Conradi also bei Random House und Knopf (Bertelsmann) für seinen Berlin Verlag einkaufen will, hat er kein automatisches Vorkaufsrecht. Aber mit Bertelsmann vermutlich soviel Geld, um auch Titel zum Beispiel von Henry Holt (Holtzbrinck) erwerben zu können.
Es gibt natürlich informelle Vorteile, aber Agenten (ein sehr problematisches Thema für sich) und Autoren können unter verschiedenen Anbietern wählen. Die Riesengeldsummen, die dabei ins Spiel kommen, werden über kurz oder lang zu Implosionen führen. Da lauern reale Gefahren – nicht für die Blockbuster, sondern die „mittelständischen“ Autoren. Ansonsten aber ist das gegenseitige Bedingungsgeflecht zwischen großen und kleinen Verlagen viel zu engmaschig und komplex geworden, als daß man mit Lamento und Geschrei einen Millimeter vorankäme.
Über der Konzentration von Buchverlagen übersieht man allerdings gerne, daß sich auch Amalgame aus Buchproduzenten und werbemächtigen Medien wie Zeitungen und Fernsehsendern bilden. Die Gefahr, daß der Diskurs über Literatur via Manipulation von Meinung und „Information“ gesteuert werden soll, ist nicht von der Hand zu weisen. Natürlich lassen sich (offiziell) weder Die Zeit (Holtzbrinck) noch der Stern (Bertelsmann) Gefällligkeitshymnen über „Hausprodukte“ ins Blatt drucken, aber es gibt manchmal schon erstaunliche Zufälle. Kartellwächter sollten auch in diese Richtung gucken.
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