: Venezuela geht am Stock
Der Ölpreisverfall trifft Opec-Mitglied Venezuela hart: Die Wirtschaft wird 1998 um mindestens fünf Prozent schrumpfen, die Mittelklasse kann nichts mehr kaufen ■ Aus Caracas Ingo Malcher
Als das Öl auf dem Weltmarkt noch teuer war, lebte es sich gut in Venezuela. Mit Petrodollars wurden dicke Autos eingeführt, der Staat konnte für alles sorgen. Jetzt nach dem Ölpreissturz geht das Land am Stock. Mit der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) liegt Venezuela im Clinch, weil es die vereinbarte Förderquote überzieht. Von der Gründung eines neuen Kartells der größten Erdölproduzenten, die derzeit im Gespräch ist und den Ölpreis wieder hochtreiben soll, hält Energieminister Erwin Arrieta dennoch nichts. Eine zusätzliche Allianz stünde nicht auf der politischen Agenda, sagte Arrieta am Donnerstag.
Dabei hängt Venezuela am Tropf des Ölpreises. Weil der nicht steigt, muß die Regierung in Caracas ihre Wirtschaftsaussichten für das laufende Jahr regelmäßig nach unten korrigieren. Mehr als 70 Prozent seines Einkommens bezieht Venezuela aus dem Erdölgeschäft, das Öl ist der „interne Motor der venezolanischen Wirtschaft“, so der Ökonom Rigoberto Bastidas.
Zu Beginn des Jahres berechneten die Ökonomen im Wirtschaftsministerium den Haushaltsplan noch mit einem Ölpreis von 15,50 Dollar pro Barrel. Mit dem jetzigen Stand von elf bis zwölf Dollar ist dieser ins Schleudern geraten. Neue Schätzungen erwarten deshalb für 1998 ein Haushaltsdefizit von fünf bis sieben Prozent des Bruttoinlandprodukts. Für 1999 schließen Ökonomen gar ein achtprozentiges Defizit nicht mehr aus.
Als im November und Dezember 1997 der Ölpreis um ein Viertel sank, hatte sich die Regierung als Ziel gesetzt, die Exporte, die nicht den Erdölsektor betreffen, in diesem Jahr um 25 Prozent zu steigern. Doch der venezolanische Export hat damit zu kämpfen, daß der Bolivar schätzungweise um 20 bis 30 Prozent überbewertet ist. Die Wirtschaftszeitschrift VenEconomy geht sogar von 75 Prozent Überbewertung aus. Damit sind venezolanische Waren auf dem Weltmarkt überteuert und nur schwer konkurrenzfähig. Für das nächste Jahr wird von manchen Ökonomen eine Abwertung des Bolivars mit einer einhergehenden Kapitalflucht befürchtet.
Im ersten Halbjahr fiel der Konsum in Venezuela um 27 Prozent, so der Nationale Rat für Handel und Dienstleistungen, Consecomercio. „Der Grund für den Fall liegt in der wirtschaftlichen Krise, die durch den Fall des Erdölpreises auf den internationalen Märkten ausgelöst wurde“, sagt Antonio Fernandez, Präsident von Consecomercio. Besonders die Mittelklasse habe auf die Konsumbremse gedrückt und sich stark einschränkt: Die Familien der Mittelklasse bringen keine Anzüge mehr in die Reinigungen, gehen nicht mehr ins Kino und schieben auch keine vollgepackten Einkaufswägen mehr durch gigantische Supermärkte, sondern kaufen äußerst preisbewußt ein. Die unteren Einkommensschichten haben den Massenkonsum inzwischen ganz aufgegeben.
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