: Doch kein Sarin gegen Deserteure
Der Fernsehsender CNN zieht einen Bericht von Anfang Juni zurück, entschuldigt sich beim Publikum und feuert die Macher der Sendung – bis auf Star Peter Arnett ■ Von Bernd Pickert
Berlin (taz) – Der US-Fernsehsender CNN hat am Donnerstag seinen Bericht über einen angeblichen Einsatz von Sarin-Gas während des Vietnamkrieges zurückgezogen. Der am 7. Juni ausgestrahlte Beitrag hatte berichtet, eine geheime Sondereinheit der US-Streitkräfte habe 1970 in Laos – wo US-Streitkräfte offiziell gar nicht hingehörten – bei einer Operation unter dem Decknamen „Rückenwind“ das Giftgas Sarin eingesetzt – und zwar gegen Deserteure aus den eigenen Reihen, die zum Feind übergelaufen seien. Als Belege hatte der Bericht Interviews mit mehreren Teilnehmern der damaligen Operation gesendet. Auch ein hochrangiger Offizier im Ruhestand bestätigte laut CNN-Bericht die Richtigkeit der Recherche. Verantwortlich für den Beitrag zeichnete der aus der Vietnam- und später der Golfkriegsberichterstattung bekannte CNN- Starreporter Peter Arnett.
Als nach der Ausstrahlung zahlreiche Vietnam-Veteranen Protest anmeldeten, lud CNN den renommierten Anwalt Floyd Abrams ein, um die Quellen des Beitrags zu prüfen. Abrams kommt zu dem Schluß: „Obwohl die Sendung nach ausgiebiger Recherche fertiggestellt wurde, auf einer Reihe Daten basiert, die die These unterstützen, und die feste Überzeugung der Journalisten wiedergibt, die sie gemacht haben, war und ist die zentrale Aussage der Sendung nicht haltbar. [...] CNN sollte den Beitrag zurückziehen und sich entschuldigen.“
Das erledigte CNN sofort. April Oliver und Jack Smith, die beiden Autoren der Story, wurden gefeuert, Pulitzerpreisträger Peter Arnett erhielt einen offiziellen Rüffel, und CNN zögerte nicht, sofort Diskussionsrunden über Medienethik und Fakes im eigenen Programm zu organisieren.
Dafür gibt es Anlässe genug: Erst am vergangenen Sonntag hatte der Cincinnati Enquirer sich auf der Titelseite beim Konzern Chiquita für einen Bericht über unlautere Geschäftspraktiken des Unternehmens entschuldigen müssen. Außerdem wurden der Chefreporter gefeuert und zehn Millionen Dollar Schmerzensgeld gezahlt. Und im Juni mußte die Kolumnistin des Boston Globe, Patricia Smith – dieses Jahr in der Endrunde um den Pulitzerpreis dabei –, ihren Hut nehmen: Sie hatte zugeben müssen, gleich bei vier Texten handelnde Personen und Zitate frei erfunden zu haben.
Im Falle der CNN-Recherche ist von Fake gar nicht die Rede. Den Journalisten wird nicht vorgeworfen, die Öffentlichkeit wissentlich hinters Licht geführt zu haben. Die Reporter, so der Vorwurf des Untersuchungsberichtes, seien von der Richtigkeit ihrer These derart überzeugt gewesen, daß sie gegenteilige Informationen völlig unterbewertet hätten.
Der Kronzeuge ihres Berichtes, der ehemalige Lieutnant Robert Van Buskirk, der vor der Kamera vom Einsatz von Gas und dem Auftrag spricht, Deserteure umzubringen, sei zudem seit vielen Jahren in psychologischer, auch medikamentöser Behandlung. Seine Glaubwürdigkeit, so der Bericht, hätte zumindest hinterfragt werden müssen.
Offenbar waren es ehemalige Teilnehmer der „Operation Rückenwind“ gewesen, die die Journalisten mit der Behauptung, es sei illegal Giftgas eingesetzt worden, noch dazu gegen Deserteure, also US-Amerikaner, überhaupt in die Spur gebracht hatten. So etwas zu recherchieren, das gibt auch der Untersuchungsbericht zu, ist problematisch: „Beide Vorwürfe, ob nun wahr oder nicht, sind Zündstoff. Männer, die an solchen Unternehmen beteiligt sind, auch wenn sie auf Befehl handeln, werden kaum etwas preisgeben wollen. Wenn solche Leute auch noch trainiert sind, an ,schwarzen‘ Operationen teilzunehmen und diese auch lange nach ihrem Ende geheimzuhalten, wird die Recherche ausgesprochen schwierig.“
Der Untersuchungsbericht sagt im übrigen nicht, daß die Aussage des Beitrages erwiesen falsch sei. Sie sei nur nicht zu beweisen.
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