Integration der Fußgänger

■ Aachen gewinnt die Hamburger Meisterschaften im Rollstuhlbasketball

„Korbleger von rechts! Und das Rebounden nicht vergessen!“ Carsten Stützer, 33 Jahre und seit dem siebten Lebensjahr Rollifahrer, gibt Anweisungen. „Was spielt ihr denn für ein Chaos!?“ Er hat heute das Training übernommen. „Michaela ist eine Gute. Seit fünf Jahren ist sie dabei. Sie spielt im B-Kader der Nationalmannschaft und ist in diesem Jahr mit den Frauen Deutsche Meisterin geworden. – Defense!“ Der orangefarbene Basketball kracht frontal gegen das Brett des Korbs und rauscht danach durch das darunterhängende Netz. Zwei Punkte für Michaela Kurtze, die schon wieder auf dem Weg zurück in die Verteidigung ist.

„Als meine Eltern mir den Rollstuhl ans Krankenbett schoben, sagte ich: Nein, in den setze ich mich nicht rein.“ Das war vor sieben Jahren. Michaela war 22. Ein Ausritt im Gelände, ihr Pferd bleibt an einem Hindernis hängen, beide stürzen, Michaela wird unter dem schweren Tier begraben – querschnittgelähmt. „Komisch“, sagt sie fast entschuldigend, „eine richtig schwere Krise habe ich eigentlich nie gehabt.“ Gute Freunde standen ihr bei. Fünf Monate nach dem Unfall sitzt Michaela in ihrer ersten Vorlesung und heute als Diplomingenieurin in der Hamburger Baubehörde. Weiterer Vorteil: gut betuchte Eltern. „Für Geld kann ich mir kein neues Rückgrat kaufen, aber es erleichtert das Leben mit einem kaputten doch ungemein.“

17.43 Uhr. Die letzten Papiere in die Umlaufmappe, Computer ausschalten und die Bremsen am Rollstuhl lösen. „Zeit für mein Lieblingshobby: Basketball.“ Die schlanke Frau in ihrem eleganten blauen Kostüm setzt sich mit ihrem Rollstuhl in Bewegung. Das Schritthalten fällt schwer. Mit ausgestrecktem Arm fährt sie auf die große Glastür am Ende des tristen Büroflurs zu. DRÜCKEN fordert das kleine Metallschildchen. Die Tür fliegt auf. An der Stechuhr abgemeldet und weiter auf den Mitarbeiterparkplatz. Michaela schwingt sich geschickt in ihren umgebauten dunkelblauen VW Caravan und lenkt ihn zur Uni-Sporthalle.

Dort tauscht sie ihre Arbeitskleidung gegen ein blaues T-Shirt und eine weiße Jogginghose. Bei jedem Ziehen und Schieben an den Rädern ihres Sportrollis spannen sich die Muskeln an ihren schlanken, aber kräftigen Oberarmen. „Meinen Bizepsumfang weiß ich nicht“, meint sie in einer Auszeit. „Aber wenn ich bei mir zu Hause eine Flasche zudrehe, gibt es für die anderen Probleme.“ Rollstuhlbasketball. Vor fünf Jahren ist Michaela „in den Sog“ geraten. „Zuerst wollte ich gar nichts mit Behinderten zu tun haben.“ Aber ihr Bewegungsdrang war stärker. Jetzt trainiert sie dreimal in der Woche eineinhalb bis zwei Stunden beim Rollstuhlsportclub Hamburg oder beim Uni-Sport. Heute zum Beispiel tummeln sich fünf RollifahrerInnen und neun FußgängerInnen gemeinsam zwischen den Körben. Ist das nicht unfair? „Nein, nein“, lacht Michaela, „auch die Fußgänger sitzen selbstverständlich im Rollstuhl.“

So wie ihr Freund Volker. Beim Rollstuhlbasketball haben sie einander kennengelernt. „Nach meinem Volleyballtraining legten immer die Rollifahrer los. Da habe ich einfach mal mitgemacht.“ Und er ist bis heute fasziniert. „Du hast das Gefühl, total schnell zu sein.“ Seine blauen Augen blitzen. „Im Rollstuhl fahren und mit dem großen, schweren Ball hantieren, das ist eine richtige Herausforderung.“

Am Wochenende hatten die beiden wieder einmal die Gelegenheit, gemeinsam durch die Halle zu flitzen. Bei den 4. Offenen Deutschen Hochschulmeisterschaften spielten die beiden gemeinsam im Team Hamburg 1 – allerdings nicht so erfolgreich, wie sie sich das vorgestellt hatten. Im Spiel um Platz 3 unterlagen sie der RSG Raisdorf mit 23:29. Turniersieger wurden die Harlem Globerollers aus Aachen durch ein 22:20 über den RBV Lüneburg. „Aber die Ergebnisse sind nicht so entscheidend“, erklärt Verena Klein, Nationalspielerin und Teamkollegin von Michaela. „Natürlich wollten wir gewinnen. Aber wichtiger war, dieses Turnier überhaupt auszurichten und wieder einmal ein Wochenende gemeinsam mit alten Bekannten zu verbringen.“ Offene Meisterschaft heißt übrigens, daß Männer und Frauen zusammenspielen, RollstuhlfahrerInnen und FußgängerInnen. „Und das“, erklärt Verena, „verstehen wir Rollifahrer unter Integration: Bei uns dürfen auch Nichtbehinderte mitspielen.“

Thorsten Wittke