Kommentar: Die Angst des kleinen Mannes
■ Der DGB kämpft den Klassenkrieg gegen Jost Stollmann
Der Gewerkschafter an sich denkt bei Kosten-Nutzen-Rechnungen doch eher simpel. Acht Millionen Mark gibt der DGB für eine Werbekampagne zur Bundestagswahl aus, um einem „Politikwechsel in Bonn“ auf die Sprünge zu helfen. Das leistet sich der DGB, um mit einer sozialdemokratischen Mehrheit gewerkschaftliche Dauerbrenner wie Mitbestimmung und Bündnis für Arbeit im Kabinett vertreten zu sehen. Für ihr Geld wollen die Gewerkschafter zuverlässige Vertreter ihrer Werte – auch auf dem Sessel des Wirtschaftsministers.
Als Wirtschaftsminister hat sich Gerhard Schröder nun aber mit Jost Stollmann einen Mann ins Schattenkabinett geholt, der alles das hat, was DGB-Funktionäre nie haben werden: Geld, Erfolg, Stil, Phantasie und Visionen. Das allein ist schon Grund genug, daß ein jeder Gewerkschafter dem Unternehmer Stollmann mit Mißtrauen begegnen muß. Stollmann bringt das Siebziger-Jahre-Weltbild der DGB- Funktionäre völlig durcheinander: Er hat sein Unternehmen ohne Betriebsrat erfolgreich geführt und dennoch zufriedene, motivierte und gut bezahlte Mitarbeiter beschäftigt, die noch heute begeistert von ihrem ehemaligen Chef sprechen.
Jost Stollmann ist der Inbegriff des erfolgreichen Unternehmers der neunziger Jahre, auf den die Schablone des Zigarre rauchenden Kapitalisten nicht paßt. Er verkörpert vielmehr die Art Unternehmer und Wirtschaftspolitiker, denen überhaupt noch ein wirtschaftlicher Wandel in Deutschland zugetraut werden kann. Insofern wundert es schon, daß die Tugenden des Jost Stollman bei der SPD durchgingen, aber die Partei ist offensichtlich wieder lernfähig.
Der DGB dagegen klebt an seinem Mitbestimmungsrecht für althergebrachte Industriezweige ohne große Zukunft. Er weiß zwar um die Wünsche eines Stahlarbeiters, nicht aber um die eines Software- Ingenieurs oder einer Werbetexterin. Daß die Kapitalistenmatritze auf Jost Stollmann nicht angewendet werden kann, ärgert die Gewerkschafter am meisten. Wenn so ein Mann Aushängeschild einer deutschen Wirtschaftspolitik wird, verlieren sie die Koordinaten, mit denen sie in der Vergangenheit Unternehmen vermessen haben. Ihre gesamte Unflexibilität sehen die Gewerkschaften an Stollmann gespiegelt und vorgeführt. Das schmerzt. Ulrike Fokken
Bericht Seite 8
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