Ab August: Trenne nun s-t, tut doch nicht mehr weh

■ Gegner der Rechtschreibreform ziehen ihre Verfassungsbeschwerde zurück. Zuvor war bekanntgeworden, daß das Karlsruher Gericht den Reformstart am 1. August nicht aufhalten wird. Kläger sehen unfaires Verfahren, Kultusminister sind zufrieden

Karlsruhe (taz) – Der Streit um die Rechtschreibreform wird immer absurder. Gestern nahmen die Reformgegner ihre Verfassungsbeschwerde zurück und kritisierten das „unfaire Verfahren“ in Karlsruhe. Sie monierten, daß Focus und Frankfurter Rundschau in den letzten Tagen bereits das erwartete Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausplauderten. Doch das Gericht ließ sich nicht ausbremsen und erklärte gestern postwendend, das Urteil werde auch ohne Klage und Kläger am kommenden Dienstag verkündet. Damit ist der endgültige Start der Rechtschreibreform zum 1. August gesichert. „Wir können nicht mehr von einem fairen Verfahren ausgehen“, erklärten Thomas Elsner und Gunda Diercks-Elsner gestern. Die Lübecker Anwälte hatten versucht, im Namen ihrer beiden neunjährigen Söhne die Rechtschreibreform an den Schulen Schleswig-Holsteins zu stoppen. Die mündliche Verhandlung hatte in Karlsruhe bereits Mitte Mai stattgefunden. Den Medienberichten zufolge sieht Karlsruhe das Elternrecht auf eigenverantwortliche Kindererziehung durch die Reform nicht verletzt. Auch ein Gesetz sei für sie nicht erforderlich gewesen, da es sich nicht um eine „wesentliche“ Entscheidung gehandelt habe.

Worin die Kläger ihre Verfahrensrechte verletzt sehen, wird aus der gestern von ihnen veröffentlichten Erklärung nicht deutlich. Statt dessen konzentrierte sich das Anwaltspaar auf eine inhaltliche Kritik an dem zu erwartenden Urteil. Das Gericht gehe zu Unrecht davon aus, daß nur 185 Wörter geändert werden sollen, vielmehr seien es rund tausend, hieß es unter anderem. Ihr Prozeßvertreter, der Jenaer Rechtsprofessor Rolf Gröschner, legte gestern sein Mandat ebenfalls nieder. „Aufgrund nachwirkender Loyalitätspflichten“ wollte er den Schritt aber nicht kommentieren. Man kann annehmen, daß Gröschner der Lübecker Budenzauber eher etwas peinlich ist.

In Karlsruhe hat man sich nach der ersten Überraschung über den Rückzug der Klage schnell gefangen und verkündete noch am Nachmittag, daß der Termin zur Urteilsverkündung „aufrechterhalten bleibt“. Eine gesetzliche Regelung der Klagerücknahme beim Verfassungsgericht existiert nicht. Normalerweise sind die überlasteten Roten Roben auch dankbar um jeden Fall, den sie nicht entscheiden müssen. Anders sieht es aber aus, wenn bereits eine mündliche Verhandlung durchgeführt und das Urteil geschrieben ist.

Wie ein Gerichtssprecher gestern erklärte, könne auch bei Wegfall der Klage ein Urteil verkündet werden, wenn dies „im öffentlichen Interesse“ liege. Das „öffentliche Interesse“ dürfte hier vor allem in der lang erwarteten Rechtssicherheit für Schulen und Behörden liegen. Andernfalls wären früher oder später neue Verfahren nach Karlsruhe getragen worden. Aus diesem Grund begrüßte auch die Kultusministerkonferenz das Vorgehen des Gerichts.

Durch ein Urteil könne die entstandene Verunsicherung der Bürger beendet werden. Gestoppt werden kann die Rechtschreibreform nun noch in Schleswig-Holstein. Dort findet am 27. September gemeinsam mit der Bundestagswahl ein Volksentscheid statt. Christian Rath

Chronologie Seite 4, Kommentar Seite 12