Vacui im Horror

Fernsehwerbung abschaffen? Erst sie macht doch Fernsehen sexy, findet  ■ Christoph Schultheis

Eine gute Gelegenheit, um das nächste Bier zu holen oder das letzte ins Klo zu pinkeln? Unsinn: Erst die Fernsehwerbung macht das Fernsehen so richtig sexy. Und der Ruf nach einem Fernsehen ohne Fernsehwerbung ist eigentlich nur was für unverbesserliche Medienapokalyptiker und zölibatäre Kapitalismusverneiner. Schließlich ist die Sexyness von Jungfräulichkeit und Enthaltsamkeit – seien wir ehrlich – begrenzt.

Begriffen wurde das sogar im nachkriegsdeutschen Flimmerland schon lange, lange vorm Privatfernsehen: Bereits sechs Jahre nachdem 1950 die allerersten Fernsehapparate ihren Weg in die Wohnstuben fanden, ließ sich das junge Medium seine Unschuld rauben. Am 3. November 1956 zwischen 19.30 Uhr und 20 Uhr gewährte der Bayerische Rundfunk der Fernsehwerbung erstmals Einlaß in die Programmkemenate.

Sechs Minuten dauerte der schamlose Akt. Weitere sechs Jahre später dann entdeckte das gerade frisch initiierte ZDF dann auch den Spaß an der Sache und verkaufte fortan Groß und Klein die leidige Vorabendverkaufsschau mittels niedlicher Cartoonfiguren: „Gu'n A'md!“.

Vorangegangen waren der Einführung des Werbefernsehens harsche Proteste und Versuche, den Sündenfall noch abzuwenden und das Medium rein zu halten. Die Argumente (wie heute): Reklame sei mit der öffentlich-rechtlichen Aufgabe nicht zu vereinbaren und das Niveau werde sinken. Die Gegner (na wer wohl?): Die Konkurrenz (nämlich die Zeitungsverleger) und natürlich (siehe oben) die Kirchen. Die Gegner gingen 1957 sogar bis vors Oberlandesgericht München. Das sagte klipp und klar: Reklame gehöre „zum Aufgabenbereich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“.

Über 30 Jahre ist das her – und das Verhältnis zur TV-Werbung ist heute nicht zuletzt eine Frage der späten Geburt. Für all diejenigen jedenfalls, die ihre Muttermilch im Angesicht mainzelmännischer Kapriolen schlürften, gehört der Werbespot zum (Farb-)Fernsehen wie die (schnurlose) Fernbedienung.

Deshalb braucht man gar nicht erst die beispielhafte Mär vom US- Seifenfabrikanten hervorzukramen, der ein Programmumfeld für seine Werbesendungen suchte und dem Fernsehen die Soap-Opera bescherte... Nein, man muß einfach nur den Fernseher einschalten: Denn nicht historisch, sondern ästhetisch, ja substantiell kann die Soap ebensowenig ohne Werbung sein wie all die Talk-, „peep!“-, „taff“- und Ulrich Meyer-Formate.

Wie oft ist da die Werbung noch banaler als das Programm, das sie unterbricht, wie oft unterhaltsamer? Und macht – in beiden Fällen – den Programmfortgang attraktiver? (Ganz abgesehen davon, daß uns die Spots nebenbei auch manch zeitraubendes Gegrübel darüber ersparen, was wir uns demnächst in Kühlschrank und Garage stellen könnten...) Und wer wäre bei Stanley Kubricks „Shining“ oder David Cronenbergs „Fliege“ nicht froh um die kleinen Werbe-Vacui im Horror?

Immer also, wenn's uns vorm Fernsehen gruselt, schaffen die unabläßlichen Unterbrechungen eine dankenswerte Distanz zum Medium. Das TV-Gerät ist ein Zerstreuungsapparat. Wer Fernsehen immer noch ernst nimmt, sobald er/sie es anguckt, wer unentwegt „Tagesschau!“ skandiert und „Werte“ und „arte“ reimt, lebt schlichtweg auf dem falschen Planeten. Denn wenn (und wie) Always die Damenbinde propagiert und Diebels die Männerbündelei, wenn sechs Zylinder mehr „Freude am Fahren“ bedeuten als drei Liter, dann sagt dieser tägliche Werbebericht doch mehr zur Lage der Nation, als es fünfzehn Minuten „Tagesschau“ je könnten. Berichte Seite 2