: Gelbes Trikot, Grüne Insel
In Irlands Süden dreht sich derzeit alles um die 85. Tour de France, die heute mit dem Prolog durch Dublins Innenstadt beginnt ■ Von Ralf Sotscheck
Dublin (taz) – Fußball? Scheiß drauf. Irland steht ab heute im Zeichen der Tour de France. Umgerechnet fünf Millionen Mark hat die Regierung dem französischen Organisationskomitee hingeblättert, um den Prolog und die ersten beiden Etappen auf die Grüne Insel zu holen. Heute geht es in Dublin los.
Die taz hat sich die Strecke schon mal angesehen, um dem Vorjahressieger Jan Ullrich ein paar wertvolle Tips zu geben. Die Rennbedingungen waren durchaus realistisch: Auch ich habe leichtes Übergewicht, eine Schirmmütze und ein schnelles Fahrrad mit 21 Gängen. Der Prolog führt vom Trinity College in einem großen Bogen zur Liffey und dann ins Ziel auf der O'Connell Street, Dublins Hauptstraße. Die Tour-Fahrer haben einen Vorteil, da man die Innenstadt drei Tage lang absperrt, aber ich kenne eine Abkürzung: Fährt man vom College nicht links, sondern rechts entlang, ist man selbst während des Berufsverkehrs in drei Minuten am Ziel.
Die Dubliner Handelskammer ist überhaupt nicht davon begeistert, daß die Innenstadt dichtgemacht wird. Die Verluste gehen in die Millionen. Alan Rushton von der Firma L'Evenement, der die Organisation der Tour übertragen worden ist, räumt ein: „Einige Geschäftsinhaber sind sehr besorgt, denn wir schließen die Haupteinkaufsstraße für drei Tage und setzen ihnen 104 Sendebusse und Lastwagen vor die Türen ihrer Warenhäuser. Letztlich werden aber alle feststellen, daß die Tour den Tourismus ankurbelt, und das wird alle überzeugen.“
Das glaubt auch Ciara Sugrue vom Dubliner Fremdenverkehrsamt. Abgesehen von den 198 Radlern und dem Begleittroß von 3.500 Personen erwartet man 1.200 Journalisten und jede Menge radsportbegeisterte Touristen. Wichtiger jedoch ist das Fernsehen: Eine Milliarde Menschen werden das Spektakel im Fernsehen verfolgen, und wenn die Fahrer die kleinen Landstraßen in idyllischer Umgebung entlanghetzen, wird so mancher Zuschauer seine nächste Urlaubsreise zur Grünen Insel buchen, hoffen die Tourismusmanager. „Die Werbung hätten wir nicht bezahlen können“, sagt Sugrue. Es sei so ähnlich wie mit dem Eurovisions-Wettsingen, das man ebenfalls zur Reklameshow für Irland umfunktioniert hatte.
Die regionalen Fremdenverkehrsämter haben eine Reihe von Randveranstaltungen zur Tour de France geplant, darunter den offiziellen Auftakt der Feierlichkeiten zum Jubiläum der Rebellion von 1798. Schließlich waren damals französische Truppen in Irland gelandet, um das Unabhängigkeitsstreben zu unterstützen. Die Rebellion schlug freilich fehl, den Tourismusmanagern droht dieses Schicksal mit der neuen Invasion aus Frankreich nicht: Unter dem Strich werden rund hundert Millionen Mark Gewinn für Irland übrigbleiben – und bessere Straßen: Wo die Tour de France vorbeikommt, ist selbst das kleinste Schlagloch beseitigt worden. Die Grafschaft Wicklow, durch welche die 180 Kilometer lange erste Etappe führt, hat fast fünf Millionen Mark dafür ausgegeben.
Der 540 Meter hohe Wicklow Gap, der bei meiner Probefahrt noch Löcher aufwies, in denen man Forellen züchten könnte, wird morgen radfreundlicher sein – falls die Studenten vom Trinity College ihre Drohung nicht wahrmachen und mit Guinness-Dosen bewaffnet auf ihren giftgrünen Rädern neben der Tour herfahren. Sie wollen damit gegen das „Tour-Theater protestieren, mit dem sich einige Leute die Taschen füllen und das noch mehr überflüssige Touristen nach Irland lockt“.
Die Frage ist, ob die Studenten überhaupt die mörderische Steigung (Erhebung der dritten Kategorie) bewältigen, bei der ich das Rad zeitweise schieben mußte, ebenso wie hinter Carrick-on-Suir auf der 205 Kilometer langen zweiten Etappe. Dafür hat man oben, bei Curraghduff, dem Heimatdorf des Radsportstars Sean Kelly, eine grandiose Aussicht auf das Suir- Tal. Kellys Bruder Joe ist hier mit seinem Rad von einem Auto umgenietet worden, ein Gedenkstein erinnert an ihn.
In Middleton, zwanzig Kilometer vor dem Etappenziel Cork, werfe ich das Handtuch. Zum einen wird die Straße zur Autobahn, zum anderen ist Middleton das Zentrum der irischen Whiskeyindustrie. Ein Besuch bei Jameson mit anschließender Whiskeyprobe ist Jan Ullrich im Gegensatz zu mir allerdings nur dann zu empfehlen, wenn er zu diesem Zeitpunkt schon hoffnungslos abgeschlagen ist. Dann kann er auch gleich in Irland Urlaub machen, während der Tour-Troß am Dienstag von Cork per Boot nach Frankreich übersetzt und in Irland wieder der Autoalltag einkehrt.
Tourismusminister Jim McDaid glaubt aber, daß die Auswirkungen der Tour de France sich noch in zwölf Jahren in Irland bemerkbar machen werden. Geht alles glatt, kann man vielleicht auch andere sportliche Großereignisse nach Irland locken. Warum nicht die Olympischen Spiele? Als Gay Mitchell, der frühere Bürgermeister von Dublin, das vor sechs Jahren vorschlug, hat man sich scheckig gelacht. Dem Sportverband in Dublin erging es ein Jahr später nicht besser, als er ankündigte, sich um den Start der Tour de France zu bewerben.
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