: Spagat im „Betriebssystem Kunst“
■ Er mochte französische Malerei des 19. Jahrhunderts und Parodien auf das Akademikertum: Zum Tod des Kunsthistorikers Stefan Germer
Als im vergangenen Dezember ein Kongreß über Strategien linker Kunstkritik in Berlin stattfand, wurde Stefan Germer bereits schmerzlich vermißt. Immerhin hätte er mit seiner Position als Mitherausgeber von Texte zur Kunst eine Brücke schlagen können zwischen der jüngeren, deutschen cultural-studies-Fraktion um Tom Holert und Diedrich Diederichsen und der älteren Kritikerschule der social history, für die Autoren wie Timothy J. Clark eingeladen waren. In gewissem Sinn bildete Germers Haltung das Scharnier in dieser Debatte: Einerseits zählte der 1958 geborene Kunsthistoriker zu den Verfechtern einer traditionellen Kunstforschung, die sich über Kennerschaft und Stilkunde bis in die Details am Gegenstand abarbeitete; zugleich war er von neueren Strömungen angetan, die Themen wie „Differenz“, „Identität“ und „sozialer Rahmen“ behandelten, ohne sich um akademische Regeln zu scheren.
Germer konnte sich als Spezialist für die französische Malerei von Géricault oder David begeistern, an Richard Serra die Klarheit seiner Eingriffe in den öffentlichen Raum schätzen und trotzdem auch die parodistischen Qualitäten eines Sigmar Polke rühmen. Und wenn er die Praktiken des Kultursponsorings kritisierte, ließ er gerne den Vergleich mit der Hofkunst der Renaissance folgen. Dieser Spagat führte ihn Ende der achtziger Jahre zur Kontext- Kunst, in der sich die Kritik am „Betriebssystem Kunst“ vor allem in der Offenlegung von Materialien und Dokumenten erschöpfte, also Kunstproduktion und -betrachtung nicht mehr voneinander getrennt werden sollten. Als Konsequenz dieser Entwicklung gründete Germer mit Isabelle Graw 1990 Texte zur Kunst, um das neue Interesse an Recherche und Theorie abzubilden. Mit seiner fortschreitenden Leukämie-Erkrankung zog er sich aus der Zeitschrift ebenso wie aus seiner Lehrtätigkeit als Professor in Frankfurt am Main zurück. Am 2. Juli ist er gestorben. Harald Fricke
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