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Das Mysterium des Memorierens

■ Vergessen, um zu erinnern: Die 17. Sommerakademie bietet Vortäge, Gespräche und Ausstellungen zum Thema

„Glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist“, sang die Wiener Gesellschaft im Champagnerlied der Operette Fledermaus. Auch Brecht stimmte in den Dreißigern das „Lob der Vergeßlichkeit“ an, und Friedrich Nietzsche wußte vom Nutzen des Vergessens zu berichten. Erinnern und Vergessen sind eng miteinander verkoppelt. Das Gedächtnis ist nämlich nicht nur Vorratskammer, sondern ein aktiver Mechanismus, der die Vergangenheit im Hier und Jetzt erst herstellt: durch auswählen, deuten und entstellen.

Seit Auschwitz ist unsere Kultur von einem starken Erinnerungsgebot geprägt. Gesellschaftliches Vergessen danach geriet schnell zu einem Akt des Verleugnens und Verdrängens. Daran zeigt sich ganz besonders das komplizierte Miteinander von Erinnern und Vergessen im kollektiven Gedächtnis. Welche gesellschaftliche Funktion und kulturelle Bedeutung dieses allgemein haben kann, bleibt daher ständig neu auszuhandeln. Einen weitgefächerten Beitrag hierzu liefert die 17. Sommerakademie der Evangelischen Akademie unter dem Titel Nach uns die Zukunft. „Das Erinnern beschwören alle, aber Vergessen kann manchmal ganz heilbar sein,“ meint Akademieleiter Wolfgang Teichert. Aber: „Das ist natürlich nicht ganz politisch korrekt.“ 1948 als Reaktion auf das Versagen der Kirche im Nationalsozialismus gegründet, dient die Akademie noch heute als evangelische Agentur, um gesellschaftspolitische und kulturelle Themen aufzugreifen. „Die hohe Moralität, die man sonst von der Kirche erwartet, haben wir aufgegeben zugunsten von Wahrnehmung – Wahrnehmung vor Wertung“, sagt Teichert und meint das amerikanische Campus-Ideal: Zu einem Thema bringen Fachleute ihre unterschiedlichen Perspektiven in die Diskussion ein.

Folglich gehen die verschiedenen Veranstaltungen das Thema von literarischen, religiösen, kulturgeschichtlichen und psychoanalytischen Aspekten an. So führt zum Beispiel der Kulturwissenschaftler Andreas Hartmann sinnlich vor, woran wir uns beim Essen erinnern, der Hamburger Knut Dietrich möchte zu einer Debatte über mangelnde Spielräume für Kinder in der Stadt anregen, und jeden Freitag werden Heilige unter die Lupe genommen.

Mehrfach geht es um Zusammenhänge von Gedächtnis und Medien: Film, Computer und Internet werden thematisiert. Denn schon immer bediente man sich Bildlichkeiten, um den Akt des Erinnerns anschaulich zu machen. War es früher die Metapher des Magazins, ist es heute das Bild des Computerspeichers.

Der Oldenburger Kunsthistoriker Detlef Hoffmann blickt auf Das Gedächtnis der Dinge. Hier ist das Memorieren kein menschliches Privileg mehr: Wie Erlebnisse Spuren in der Großhirnrinde hinterlassen, so schreiben sich auch dem Materiellen Spuren ein, verändern und gestalten es.

Womit wir wieder bei den Bildern wären: Erinnern Sie sich noch an den „Wunderblock“, jenes magische Zettelgedächtnis, das man immer wieder löschen und vollschreiben konnte, und auf dessen unterster Lage sich das Geschriebene eindrückte und speicherte? Das ist vielleicht das einfachste und zugleich klarste Bild des Gedächtnisses: Es zeigt die Kopräsenz von Dauerspur und Tabula rasa.

Thomas Schulze

Vorträge täglich 19 Uhr (außer Sonnabend und Sonntag), Evangelische Akademie Nordelbien, Esplanade 15, bis 13. August. Weitere Informationen unter: Tel. 35 50 56-0

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