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„Männer machen Geschichte“

Bismarcks Tod vor 100 Jahren: Ein Anlaß für Wasserbomben, salbungsvolle Worte und Gedanken zur „nationalen Sinnstiftung“  ■ Von Elke Spanner

Die Wasserbomben zerplatzen mitten im Gesicht. Regungslos lassen Otto von Bismarck und Helmut Kohl (CDU) die Tropfen an sich abperlen – ebenso wie den Vorwurf, die „nationale Sinnstiftung“ für eine „selbstbewußte Nation“ voranzutreiben. Während vor der Tür des Sachsenwald-Forums in Reinbek gestern rund 50 DemonstrantInnen ihre GesinnungsgenossInnen hinter Kohl- und Bismarck-Masken bewässerten, erfuhren die rund 300 geladenen Gäste hinter den verschlossenen Türen nichts von diesem Protest. Unbehelligt würdigten sie den Gründer des deutschen Reiches, Otto von Bismarck, anläßlich seines 100jährigen Todestages. Geladen hatte zu diesem Festakt die Otto-von-Bismarck-Stiftung.

Die lobte Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) gestern in den höchsten Tönen. Sie sei zugleich Archiv und wissenschaftliches Forschungszentrum, Museum und historisch-politische Bildungsstätte. Dadurch trage sie zur „Vertiefung unseres Geschichtsbewußtseins“ bei. Denn ohne das Wissen über die Vergangenheit des „eigenen Volkes“ lieferten sich die Menschen dem „Zeitgeist mit all seinen politischen Facetten“ und „politischen Verführungen“ aus.

Warum dafür gerade ein einzelner Mann stehen soll, der sich zwar durch die Einrichtung einer Sozialversicherung, aber auch durch die Vefolgung von Sozialisten und eine anti-demokratische Gesellschaftsordnung profilierte, weiß Stiftungsmitglied Michael Etkenhans: Die Stiftung sei nach der Manier „Männer machen Geschichte“ errichtet worden. Und um die „eigene und personale Identität“ zu finden, eigneten sich „Männer weitaus besser, als Quellen gesättigter Darstellungen über die politischen und sozialen Strukturen einer Epoche“.

Daran haben die KritikerInnen der Stiftung allerdings erhebliche Zweifel. „Als Vorbild sollte der Antidemokrat von Bismarck nicht dienen“, warnte die SPD Bundestagsabgeordnete Uta Titze-Stecher schon 1997 im Bundestag. Und angesichts der gestrigen Huldigung kritisierte der Hamburger Vorstandssprecher der Jusos, Gernot Wolter: „Daß der deutsche Bundestag mit den Stimmen der Koalition einem erklärten Gegner von Demokratie und Parlamentarismus eine öffentliche Stiftung widmet, gleicht einer Selbstverleumdung der gewählten VolksvertreterInnen.“ Die DemonstrantInnen, die gestern aus Protest gegen die Bismarckfeier durch Reinbek marschierten, sehen das ebenso.

Im Juni 1997 hatte der Bundestag zugestimmt, die seit 1994 bestehende Otto-von-Bismarck-Stiftung in eine des öffentlichen Rechts umzuwandeln. Solche Bundesstiftungen sind bislang Konrad Adenauer, Friedrich Ebert, Theodor Heuss und Willi Brandt gewidmet.

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