: Zwischen Baumstrafe und Kopfschuß
■ Aus NY: Der USA-Korrespondent Jürgen Thebrath war SommerGast“ von Radio Bremen in der Schauburg
Nein! Die nächste Rechnung für meine Rundfunkgebühren werde ich nicht mehr begleichen. Warum muß sich Jürgen Thebrath, seit einem Jahr ARD-Korrespondent in New York, unbedingt in der noblen Upper Westside niederlassen? Für horrible 50 $ den Quadratmeter, auf Senderkosten! Eingeklemmt zwischen Yoko Ono und Pete Sampras! Neben jenem Anwesen, auf dem einst John Lennon niedergestreckt wurde! Hat er doch eh schon seinen „Traumjob“. Und wir – all die zerknitterten, fahlen, kleinen Angestelltenschweine – sollten also die unverschämt zufriedenen Lachfalten und die wonnigliche Stimme dieses Jürgens im Glück mitfinanzieren? Niemals.
Wenigstens wußte Thebrath an diesem Morgen in der Schauburg Interessantes über gewisse Dinge zu erzählen; just jene Dinge, die auch unser taz-Amerikakorrespondent Lars Reppesgard (vgl. taz vom 13.7.) in Erfahrung brachte, ausgestattet allerdings mit wesentlich preisgünstigeren Erkenntnismitteln: einer abgeschabten Punkerjacke und einem kleinen Sortiment von Bierflaschen. Zwei verschiedene Wege, ein und dasselbe Ergebnis. Gemeint sind Wahrheiten über die Law-and-order-Politik.
In der Tat ist, meinte Thebrath, die Gewaltquote in New York gesunken, auch wenn den Statistiken nicht über den Weg zu trauen ist. Aber die neue, harte „No tolerance“-Polizei ist nur „für alle Reichen und Weißen dein Freund und Helfer“. Wenn schwarze Eltern ihren Kindern einbläuen, sich bei einer Polizeikontrolle flugs zu Boden zu werfen, die Hände über den Kopf, und keinen Mucks von sich zu geben, um nicht der unkontrollierbaren Schießwut eines Beamten zum Opfer zu fallen, „dann hat das mit einem Rechtsstaat Null zu tun“. Sicherheitsgefühle auf der einen Seite werden teuer, zu teuer erkauft durch Angst und Beklemmung auf der anderen Seite.
Glück im Unglück hatte kürzlich ein Farbiger. Der erhält wohl demnächst eine Entschädigung in Millionenhöhe, weil ihm nachweislich in Polizeigewahrsam die Innereien über den After aufgerissen wurden, und zwar mit „diesem Ding gegen verstopfte Toiletten“ (LeserInnen der Letzte-Fragen-Seite des taz-Mag wissen, daß es sich hierbei nur um einen „Pömpel“ handeln kann). Mal ganz abgesehen von dem zwangsläufigen Ansteigen solcher Unvornehmheiten; die Situation in New York ist „nicht auf deutsche Städte zu übertragen“. Immerhin hatte Bürgermeister Rudolph Giuliani noch einen triftigen Grund für seine Einschüchterungstaktik; waren schließlich gewisse Areale von Big Apple nur unter realer – nicht eingebildeter – Lebensgefahr zu betreten. Kontrastiv zu solchen verkehrten Vorkehrungen schwärmt Thebrath von einem 80jährigen weißen Drugstore-Besitzer. Der lebt seit Jahrzehnten unangefochten auf schwarzem Terrain. Statt über künstliche Waffen verfügt er über einen natürlichen Schutz: Respekt und Anstand.
Bremens Innensenator Bortscheller war leider nicht in der Schauburg. Vielleicht beseitigte er gerade gesetzesbrecherische Urinreste des Abschaums dieser unserer Stadt von seiner Gartenhecke. Für ihn hätte sich Anwesenheit gelohnt. Zwar ist, erzählte Thebrath, New York nicht der Schmelztiegel, der man lange Zeit sein wollte; aber „Kraft, Atmosphäre und Lebendigkeit der Stadt“ den Immigranten in der City und nicht den zurückgezogenen Stadtrand-Weißen zu verdanken sind. Kehrseite von deren neuem Reichtum ist eine ebenso neue Armut. „In New York kann man sich jede Dienstleistung kaufen. Da sitzen zum Beispiel Hunderte von Migranten in einer Kolonne und schneidern für wenig Geld Hemden.“ Wie in Indien. Denn „die Gewerkschaften sind schwach.“ Das Gerücht vom neuen Wirtschaftswunderland scheint einer Relativierung zu bedürfen.
Neben solchen Ernsthaftigkeiten gab Thebrath jede Menge liebenswerte Aperçus zum Besten, die nur einen Schluß zulassen: Die spinnen die Amis. Neues Opfer New Yorker Wohltätigkeitsexzesse ist der Central Park. Fast jeder Baum hat seine eigene sorgenvolle Bürgerinitiative. Wer sein Fahrrad an einen dieser verletzlichen Geschöpfe ankettet, muß mit einer „Baumstrafe“ bis zu 500 $ rechnen. Weitere Regulierungsmaßnahmen sind in Planung: ein Verbot von Würstchenwägen und wildem Straßenüberqueren in ampelfreiem Bereich. Dafür kann man an einem normalen Werktag zwischen 64 verschiedenen Musicals auswählen. Vielleicht sollte ich besser doch meine nächste Rundfunkrechnung bezahlen. bk
nächster Sommergast: Sonia Mikisch, 18. Juli, 10 h, Schauburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen