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Von Bock lehnt 50.000 Mark Strafe ab

■ Verfahren gegen den früheren Oberstaatsanwalt geht weiter / Verkehrte Welt im Amtsgericht Raum 551

Jeden Dienstag sitzt im Saal 551 im Bremer Amtsgericht der frühere stellvertretende Leiter der Staatsanwaltschaft und Dezernent für die besonders brisanten politischen Verfahren – Hans-Georg von Bock und Polach – auf der Anklagebank. Auf „seinem“ Platz gegenüber sitzt eine Frau, Kirsten Graalmann-Scheerer. In den Jahren, um die es hier in dem Verfahren geht, stand sie weit unter von Bock.

Kein Zweifel, von Bock beherrscht die Körpersprache der Gerichtsverhandlung perfekt. Er kann juristische Sätze mit der entsprechenden Dramaturgie rhetorisch steigernd aufbauen, er liebt den spitzen Wortwechsel, fast beleidigt ignoriert er es, wenn der Richter oder die junge Staatsanwältin seiner rechtlichen Bewertung nicht folgen wollen. Immer wieder spricht er von „wir“, wenn es um die Verhandlung geht, als würde er einen kleinen Moment vergessen, daß er diesmal ganz allein auf der Anklagebank sitzt.

Gestern war seine Stunde, der Richter hatte eine Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldbuße von 50.000 Mark angeregt. Mehr als eine Stunde redete von Bock gestern das bisher abgelaufene Verfahren – um dann am Ende klarzumachem, daß er gern die „Prangerwirkung“ des Verfahrens vermieden hätte, nun aber mit weißer Weste aus dem Gerichtssaal gehen möchte.

Strafvereitelung im Amt solle es gewesen sein, daß im Stapel, der ca. 170 unerledigten Akten, die in seinem Dienstzimmer gefunden wurden, bei etwa 45 Fällen im Nachhinein der Verdacht besteht, da wäre jemand verurteilt worden, wenn die Akten denn bearbeitet worden wären. 40 „Fälle“ aus den Jahren 1993-1995 hatte die Staatsanwältin eingestellt, weil von Bock damals zusätzlich Pressesprecher der Staatsanwaltschaft war. Das ist zwar kein Grund, Straftäter laufen zu lassen, aber möglicherweise ein Gesichtspunkt, der schuldmindernd gewertet werden könnte.

Dieses schuldmindernde Argument gilt auch für die anderen fünf Fälle, erläuterte von Bock, denn er sei auch vorher überlastet gewesen, „bis in den späten Abend“ habe er gearbeitet, auch „an Wochenenden“, und „weit über das übliche Maß hinaus“. Im Jahre 1992 sei er zum stellvertretenden Behördenleiter ernannt worden, auch wieder zusätzliche Aufgaben. Das politische Dezernat sei „das unbeliebteste Dezernat“ überhaupt.. Aus gutem Grund: Einmal sei ihm das Auto abgefackelt worden im Zusammenhang einer BKA-Ermittlung, einmal seien ihm die Scheiben zu Hause eingeschmissen worden: „Ich habe genug Einbußen gehabt.“ Der ehemalige Oberstaatsanwalt fühlt sich in jeder Hinsicht ungerecht behandelt, er wird drastisch: „Die Kosten habe ich selbst übernommen. Da hat sich kein Schwein drum gekümmert“.

An dieser Stelle fragte der Richter, der mit großer Selbstbeschränkung zugehört hatte, dazwischen: „Welches Schwein meinen Sie?“ Von Bock muß den Ausdruck zurücknehmen, „für das Protokoll“.

Ein Dienstherr, der erst seine Fürsorgepflicht grob verletzt und dann den fleißigen Beamten vor den Kadi zerrt? Die Staatsanwältin merkt zu dem Vortrag des Angeklagten an, daß die zuständige Personalbehörde damals sehr schnell beschlossen hatte, die Kosten für Reperatur und Sicherheits-Vorkehrungen des Hauses zu übernehmen – aus dem Hause von Bock sei aber kein Kostenerstattungsantrag gekommen. Auch da ein Berg unerledigter Akten? K.W.

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