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Das PortraitDas strebsame ÖVP-Wunderkind

■ Wolfgang Schüssel

Vor einem Jahr hätte keiner zu wetten gewagt, daß Wolfgang Schüssel die EU-Präsidentschaft Österreichs noch als Außenminister erleben würde. Die sogenannte Frühstücksaffäre drohte dem Vizekanzler das Genick zu brechen: Schüssel hatte am Rande des EU-Gipfels in Amsterdam bei einem Hintergrundgespräch mit Journalisten am Frühstückstisch den Bundesbankchef Hans Tietmeyer wegen seiner Euro-skeptischen Haltung als „richtige Sau“ bezeichnet.

Gleichzeitig zu diesem Skandal begannen in der Parteizentrale und auf einem Treffen der ÖVP-Landeshauptleute sämtliche Rivalen an Schüssels Stuhl zu sägen. Die Mehrfachbelastung als Vizekanzler, Außenminister und Parteiobmann sei dem Ärmsten nicht zuzumuten, hieß es. Jemand schlug hilfsbereit vor, dem Multifunktionär einen „geschäftsführenden Obmann“ an die Seite zu stellen. Doch da sich kein konsensfähiger Nachfolger anbot, ließen die Königsmörder schließlich ihre Dolche stecken.

Heute steht der 53jährige Wirtschaftsjurist am Höhepunkt seiner Karriere. Schon im Schottengymnasium, wo die Sprößlinge der Wiener Elite herangezogen werden, fiel Schüssel durch seine Strebsamkeit auf. Daß er während des Studiums keinem der reaktionären Cartellverbände beitrat, deren Schützenhilfe für eine Karriere in der christdemokratischen ÖVP als unentbehrlich gilt, macht ihn zur Ausnahmeerscheinung. Ganz ohne Verbindungen ist es trotzdem nicht zu erklären, daß er gleich nach seiner Promotion zum Sekretär der ÖVP-Parlamentsfraktion avancierte. Damals stellte seine Partei die Alleinregierung.

Über den Vorsitz des parteinahen Wirtschaftsbundes (1975-1987) wurde das Wunderkind 1989 Wirtschaftsminister einer Koalitionsregierung und 1995 Parteichef und Vizekanzler. Schüssel trat mit soviel Selbstbewußtsein an, daß er bereits im Herbst die Regierung platzen ließ und Neuwahlen provozierte. Aber weder Schüssels Drängen in die Nato noch seine – inzwischen vergessenen – Drohungen, mit Jörg Haiders Freiheitlichen einen Bürgerblock zu bilden, kamen gut an. Die Wahlen brachten ein Waterloo für die ÖVP. Der EU- Vorsitz bietet Schüssel Gelegenheit, sich vor den Wahlen 1999 von einer anderen Seite zu zeigen. Ralf Leonhard

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