: Gemeinsam den Politikern auf die Finger hauen
■ Sie sind jung und sehen sich als Streiter für die Rechte künftiger Generationen. Jetzt zogen sie zu den Bonner Parteizentralen – doch Guido Westerwelle interessierte sich vor allem für die Fernsehkameras
Bonn (taz) – Durchgefallen. Keine der Bonner Parteien ist zukunftsfähig, das jedenfalls ist das Ergebnis des Politiktests der sogenannten Jugendstiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. „Keiner der Politiker kann seinen Kindern mehr in die Augen sehen“, bilanziert der Stiftungsgründer Jörg Tremmel nach einem Besuch bei Bonner Politikern. Im vergangenen Jahr hat der 27jährige Diplomkaufmann Wissenschaftler und Jugendliche zusammengebracht. Vorbild war eine Idee des französischen Meeresbiologen Jacques Yves Cousteau, der eine Stiftung als Anwalt zukünftiger Generationen einrichten wollte. In Deutschland arbeiten inzwischen 150 Mitglieder an Zukunftskonzepten jenseits von Parteipolitik.
Das vergangene Wochenende haben sich 70 Jugendliche um die Ohren geschlagen, um die Wahlprogramme der Parteien zu durchleuchten. Am Montag dann rückte ein Dutzend Stiftler in den Bonner Parteizentralen mit großen Pappkartons an, um den Politikern 30seitige Arbeitspapiere zu überreichen. „Ich wäre theoretisch auch gerne zur Love Parade gefahren, aber das hier ist wichtiger“, sagt Benjamin Dzialowski. Der 23jährige trägt seine Haare leicht gegelt, im Ohr einen Ring und das Hemd gerne offen. Seine Arbeit in der SPD hat er aufgegeben, er habe genug von einer Politik gehabt, die nachfolgende Generationen nicht mit einbeziehe. Die Stiftungsleute sind ein bunter Haufen von Rastalocken bis zum braunen Jackett mit Lederaktentasche. Auf ihrem ersten Kongreß im Herbst 97 verabschiedeten sie als Grundlage ihrer Forderungen „neue Generationenverträge“. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern wie Ernst Ulrich von Weizsäcker entstanden Lösungsvorschläge für die Rentenkrise, die hohe Staatsverschuldung und die Jugendarbeitslosigkeit. Die Stiftungsaktivisten eint der Wunsch, gemeinsam den Politikern auf die Finger zu hauen. „Sie sollten sich nicht wundern, daß Jugendliche politikerverdrossen sind. Die Programme sind so leer – wir wollen doch nicht die Katze im Sack wählen.“ Diesen Satz wiederholt Jörg Tremmel viermal, bei FDP, Grünen, CDU und SPD. Die Stiftungsleute sind heiß darauf zu diskutieren, sie wollen konkrete Antworten der Politiker auf ihre konkreten Vorschläge. Doch mit ihren Fragen dringen sie nur mühsam durch die rhetorischen Nebelschwaden ihrer Gegenüber.
Guido Westerwelle sonnt sich in den Scheinwerfern der Fernsehkameras, während Jörg Tremmel die Unterlagen der Stiftung überreicht und sagt: „Alle Parteien haben bei der Sorge um zukünftige Generationen versagt.“ Guido Westerwelle faltet die Hände vor dem Bauch. Tremmel fährt fort: „Aber die FDP ist eine der besseren unter den Schlechten.“ Mit der Glattheit eines Politmanagers verwandelt der FDP-Generalsekretär das vorsichtige Lob in einen politischen Sieg, die Kritik ignoriert er: „Ich freue mich, daß die FDP im Test ordentlich abgeschnitten hat.“ Ob soviel Selbstgefälligkeit bleibt den Jugendlichen nur ungläubiges Kopfschütteln.
Im Laufe des Tages wird das Schütteln häufiger und heftiger. Den Höhepunkt erreicht es im kleinen Sitzungssaal der CDU. Hier steht der Chef der Planungsabteilung, Klaus Preschl, Rede, aber nicht Antwort. Er läuft vor den Reihen der Stiftungsleute oberlehrerhaft auf und ab und versucht, ihnen das Parteiprogramm anzupreisen, das diese gerade haben durchfallen lassen. „Ich war wirklich kurz davor, den Raum zu verlassen“, entrüstet sich ein Teilnehmer. Bleiben noch die Grünen und die SPD: Zwei Frauen stellen sich hier – und sie stellen sich wirklich. Ansätze von Diskussionen entstehen, aber wirklich eingegangen auf die Vorschläge der Stiftung wird auch hier nicht. Nicht nur der Regen auf den Wegen zwischen den Parteizentralen läßt die Delegation betröppelt aussehen. Cornelia Fuchs
Bildung Seite 14
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