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"Wie zur Gestapo-Zeit"

■ In einem "Berliner Appell" fordern Flüchtlingsbetreuer und der ehemalige EU-Administrator von Mostar, Hans Koschnick, den Verzicht auf weitere Abschiebungen nach Bosnien

Als „grob unmenschlich“ und „wie zur Gestapo-Zeit“ hat Hans Koschnick, ehemaliger EU-Administrator von Mostar, die Abschiebungen von bosnischen Flüchtlingen in der vergangenen Woche bezeichnet. „Ohne Rücksicht auf jede menschliche Erfahrung“ seien 74 Flüchtlinge in einer Nacht-und- Nebel-Aktion nach Sarajevo abgeschoben worden. Koschnick, früherer SPD-Bürgermeister von Bremen, bezeichnete die Abschiebeaktion als ein „reines Spektakel für den Bundestagswahlkampf“.

Er hat deshalb zusammen mit Berliner Professoren, MitarbeiterInnen von Flüchtlingsheimen und dem Behandlungszentrum für Folteropfer einen Appell an den Senat, die Bundesregierung und den Bundestag gerichtet. Darin fordern die Unterzeichner, keine weiteren Abschiebungen durchzuführen und zu einer strikt freiwilligen Rückkehrpolitik zurückzukehren. Auch fordert die Gruppe, daß Schwersttraumatisierte und ihre Familienangehörigen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bekommen. „Durch die Massenabschiebung sind viele, die schon auf dem Weg der Besserung waren, retraumatisiert worden“, so Sibylle Rothkegel vom Behandlungszentrum für Folteropfer.

Auch die Schriftstellerin Inge Deutschkron, die das Buch „Ich trug den gelben Stern“ geschrieben hat, wandte sich gestern mit einem öffentlichen Brief an den Innensenator. „Wie während der Nazizeit wurden Familien auseinandergerissen, wurden Menschen bis zum Transport eingesperrt, in diesem Falle für mehrere Stunden in eine fensterlose Zelle im Flughafen.“

Die Schriftstellerin habe ihre eigenen traumatischen Erinnerungen an die Nazizeit nach den Abschiebungen noch einmal durchlebt. „Ich bin nachts schweißgebadet aufgewacht.“ Deutschkron kritisierte außerdem, daß die Öffentlichkeit nur sehr verhalten auf die Abschiebungen reagiert habe. „Hier hätte ein Aufschrei kommen müssen“, so ihre Meinung. Julia Naumann

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