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„Algerien ist unser Land“

Die Bevölkerung in der Kabylei ist unzufrieden. Die Forderung nach der Anerkennung der Berberkultur zielt auch auf eine demokratische Veränderung des Landes  ■ Aus Bejaia Reiner Wandler

Klein-Monacco, wie die Einwohner Bejaias ihre Stadt gerne nennen, sieht mitgenommen aus. Überall auf dem Boulevard Amreou sind die Gläser der Straßenlaternen zerschlagen, einige Masten sogar umgeknickt. Arabischsprachige Wegweiser sind demoliert, hier und da die Gehsteige aufgerissen. Die eingeworfenen Scheiben des Finanzamtes, des Bürogebäudes des staatlichen Textilunternehmens Ecotex und des Kulturhauses zeigen, wofür die Brocken gebraucht wurden.

Nachdem am 25. Juni der algerische Protestsänger Matoub Lounes von vermutlich von bewaffneten Islamisten auf dem Heimweg abgepaßt und erschossen worden war, zogen tagelang Tausende von wütenden Jugendlichen durch die Straßen der Küstenstadt, vier Autostunden östlich von Algier, genauso wie im Rest der Berberregion Kabylei. Die Menschen hier verehrten Matoub Lounes als den engagiertesten Verfechter ihrer Sprache, des Tamazight. In ihr sang er nicht nur gegen die Mächtigen in Algier an, sondern auch gegen den religiösen Wahn der Fundamentalisten, der Algerien in die Krise stürzte.

Proteste nach dem Tod des Sängers Matoub

„Pouvoir assassin!“ – Mörderregime! – riefen die Demonstranten, als die Polizei sich ihnen in den Weg stellte. „Die haben es nicht anders gewollt, die haben die Auseinandersetzungen provoziert“, sagt Abdelrahman. Nein, mitgemacht habe er nicht, aber zugesehen, sagt der 28jährige Hafenarbeiter. Die gleiche Antwort erteilen ein paar Jugendliche, die auf den Treppen des Regionaltheaters rumhängen. Keiner möchte der Protestbewegung angehört haben, die sich in Anlehnung an den Titel eines Buches von Matoub den Namen „Rebellen für die Freiheit“ gab. Die Dutzende von Verhaftungen haben ihre Wirkung getan. Bejaia scheint wieder ruhig.

Nur die Geschäftsinhaber rund um den Platz reden bereitwillig. Sie haben mit einem zweitägigen Generalstreik ihren Teil zu den Protesten beigetragen. „Nicht nur aus Trauer um Matoub, sondern auch aus Sorge um unsere Sprache“, sagt Nazerdin, der Besitzer eines Schuhgeschäfts gegenüber dem Theater. „Wir protestierten damit auch gegen das Dekret der Regierung, nach dem das Arabisch seit dem letzten Nationalfeiertag, dem 5. Juli, als einzige Amtssprache Algeriens gilt.“ Stolz zeigt er ein Foto, auf dem das Grab von Matoub Lounes und eine algerische Nationalfahne zu sehen ist. „Die können machen, was sie wollen, wir werden uns nie daran halten, Arabisch als Amts- und Geschäftssprache zu benutzen“, sagt der 30jährige Geschäftsmann. Mit seinesgleichen redet er Tamazight. Mit Kunden aus anderen Landesteilen Französisch.

„Die Berber waren schon immer ein rebellisches Volk“, sagt Djamel Ferdjallah stolz. Er ist Abgeordneter der Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD), die sich hauptsächlich aus der Kabylei rekrutiert, und Sprecher des Hochkommissariats für Berberkultur (HCA), einer Institution, die den Regierenden in Algier abgetrotzt wurde, nachdem eine Million Schüler von September 1994 bis April 1995 den Unterricht boykottiert hatten. „Seither haben wir kleine Fortschritte gemacht, um die wir jetzt fürchten“, sorgt sich Ferdjallah.

Das staatliche Fernsehen sendet jeden Tag Nachrichten in Tamazight, das zweite Programm des algerischen Staatsrundfunks hat ebenfalls Fenster für die Berber eingerichtet. In 16 Provinzen wurde in den Schulen Tamazight- Unterricht eingeführt, nicht nur in der Kabylei, sondern auch im Westen und Süden des Landes, wo ebenfalls Berberdialekte gesprochen werden.

Das Büro der RCD liegt gleich neben dem im französischen Kolonialstil errichteten Hauptplatz von Bejaia, mit einer herrlichen Aussicht über die von hohen Bergketten eingefaßte Bucht mit langen Sandstränden. Vor dem RCD- Haus stehen Plakatwände mit Zeitungsausschnitten über den toten Sänger. Aus einem Radiorecorder im Eingangsbereich erklingen orientalische Gitarrenriffs, eine klare Stimme formt lange, vibrierende Silben: die letzte Platte von Matoub Lounes. Auf einem abgenutzten Holztisch liegt ein Kondolenzbuch aus, in das sich noch immer Menschen eintragen. „Wenn wir Araber sind, warum muß man uns dann arabisieren? Und wenn wir keine Araber sind, warum dann?“ hat jemand geschrieben. Die Ortsangaben neben den Unterschriften verraten, daß Menschen von überall aus der Provinz den Weg ins RCD-Büro gefunden haben.

„Matoub Lounes ist so etwas wie unser Garcia Lorca“ – erklärt Hamsa, Chef einer kleinen Autowerkstatt in der Nähe von Sidi Aich, den Kult um den Berberbarden. Wie der bekannte andalusische Dichter, der zu Beginn des Spanischen Bürgerkriegs erschossen wurde, war der Sänger das Symbol einer ganzen Generation und von deren Forderung nach Anerkennung der eigenen Kultur. Hamsa ließ seine Garage, die eine halbe Autostunde von Bejaia entfernt an der Straße ins Landesinnere liegt, während des Generalstreiks geschlossen. „Um unsere Sprache zu verteidigen“, sagt der Mann im Overall. Nicht ohne Stolz fügt er hinzu: „Das hat nichts mit einem Minderwertigkeitskomplex zu tun. Ich kann Arabisch, ich habe sogar mein Diplom auf arabisch abgelegt.“

Hamsa verbindet wie die meisten Menschen in der Region mit der Forderung nach Anerkennung der Berberkultur den Wunsch nach einem anderen, demokratischeren Algerien. Über seiner Werkbank, an der er mit Improvisationstalent gegen den chronischen Ersatzteilmangel ankämpft, hängt das Foto des ermordeten Präsidenten Mohammed Boudiaf. „Wie alle wahre Helden hat auch er für seine Ideen mit dem Leben bezahlt“, sagt Hamsa, dessen ganze Hoffnungen einst diesem Veteranen des Unabhängigkeitskrieges gegen Frankreich galten. Die Militärs hatten ihn nach dem Abbruch der ersten freien Wahlen 1992, bei denen die Islamische Heilsfront (FIS) gewann, aus dem marokkanischen Exil in den Präsidentenpalast geholt. Boudiaf versprach, mit der Korruption im Staatsapparat aufzuräumen, und wurde damit über Nacht populär. „Er hätte Algerien verändern können“, sagt der Kfz-Meister. Das befürchteten wohl auch diejenigen, die keine vier Monate später einem Soldaten den Auftrag gaben, Boudiaf zu erschießen. Um welche dunklen Kräfte es sich dabei handelte, darüber wird bis heute spekuliert.

„In Algerien hat sich seither alles nur zum Schlechten verändert. In der Kabylei trifft uns die politische und wirtschaftliche Krise besonders stark. Hier gibt es nichts, die Jugend hängt auf der Straße rum“, sagt Hamsa. Er selbst hat zu Haus zwei „Luxusarbeitslose“, wie er es nennt. Sein Sohn (25) und seine Tochter (21) haben zwar das naturwissenschaftliche Abitur mit guten Noten bestanden – Arbeit haben sie dennoch nicht.

Industrie gibt es in der Region so gut wie keine. Die Landwirtschaft leidet seit Jahren unter Wassermangel. Der Weizen wird kaum 20 Zentimeter hoch, bevor die halbleeren Ähren reifen. Ausländische Touristen bleiben schon lange aus. Nur noch einheimische Besucher und die in Frankreich lebenden Emigranten bevölkern im Sommer die Strände der Bucht von Bejaia. Viel Geld ist mit ihnen nicht zu machen. Wer einen Verwandten im Ausland hat, schlägt sich mit dem Verkauf von schwarz eingeführten europäischen Produkten durch. An jedem zweiten Schaufenster prangt ein Schild mit der französischen Aufschrift „Kfz- Zubehör“. Einige verzweifelte Frauen bieten mittlerweile sogar in aller Öffentlichkeit ihren Körper am Rande der Landstraße feil. Das war noch vor kurzem undenkbar. „Die Jugend hat ihrer ganzen angestauten Unzufriedenheit Luft gemacht“, zeigt Hamsa für den Wutausbruch der letzten Wochen deshalb Verständnis.

Als dann fünf Jugendliche von der Polizei erschossen wurden, heizte das die Stimmung zusätzlich auf. Ein Toter war in Sidi Aich zu beklagen, ein anderer in Tazmalt und drei in der größten Stadt der Kabylei, in Tizi Ouzou. Die Schüsse hätten sich versehentlich gelöst, lautete die offizielle Begründung. Hamsa ist nicht der einzige, der „nur schwer daran glauben kann“. „Hier behaupten sie das auch“, sagt der Besitzer eines kleine Zeitschriftenladens, vierzig Kilometer weiter, in Tazmalt. „Doch es gibt auch eine andere Version“, erzählt der junge Mann. Im Handgemenge habe der Bürgermeister einem der Polizisten die Pistole abgenommen und um sich geschossen. „Die eingeleitete Untersuchung hat bisher nichts ergeben“, wirft resigniert ein Kunde ein, als würde er nicht daran glauben, daß jemals etwas dabei herauskommt.

Separatisten sind die Berber nicht

Tazmalt zieht sich den Hang hoch. Auf dem Minarett der Moschee hat ein Storchenpaar sein Nest errichtet. Auf zwei in den algerischen Nationalfarben gestrichenen Betonsäulen stehen die Jahreszahlen 1954 und 1962, darunter die Namen der im Unabhängigkeitskrieg Gefallenen. Die Menschen in der Kabylei sind stolz auf ihren Beitrag zur Befreiung des Landes.

Überall im Ort stehen halb fertige Häuser. Die untersten Stockwerke sind bewohnt. Dann ging das Geld aus. Von der geplanten zweiten Etage zeugen nur Stahlstränge und halb fertige Betonsäulen, die in den blauen Himmel ragen. Über der Eingangstür einer nicht fertiggestellten Villa ist kunstvoll die Zahl 2000 in die teure Sandsteinverkleidung gemeißelt. Der Bauherr ist wohl Realist.

Der kleine Zeitschriftenladen füllt sich schnell. Das Gespräch mit dem ausländischen Journalisten ist eine willkommene Abwechslung für die jungen Leute, die draußen an der Hauswand lehnten und den Verkehr auf der Landstraße beobachteten. Die Autos verlangsamen ihre Geschwindigkeit bei der Fahrt durch den Ort kaum. Die Kennzeichen verraten, daß sie zurück nach Algier müssen. Es ist bereits nach 16 Uhr. Die Zeit wird knapp. Denn am Ende des breiten Tales, in dem die Stadt Bouira liegt, ist die Kabylei zu Ende. Die Atlaskette, durch die es dann Richtung Hauptstadt weitergeht, gilt als Hochburg radikaler Islamisten. Die Landstraße durchquert eine enge Schlucht. Bis 17, spätestens 17.30 Uhr müsse man da durchsein, danach steige die Gefahr, daß bewaffnete Islamisten falsche Straßenkontrollen errichten, heißt es.

„Nein, teilgenommen habe ich an den Demonstrationen nicht, nur zugeschaut“, lautet auch im Zeitschriftenladen in Tazmalt die übliche Antwort der jungen Erwachsenen. Einige von ihnen haben sich eine Zigarette angesteckt, die stückweise verkauft werden. 8 Dinar, umgerechnet 30 Pfennig, kosten sie. Die 5 Mark für eine ganze Schachtel hat niemand. Alles redet durcheinander. „Wir wollen einfach nur soziale Gerechtigkeit.“ – „Die haben ganz Algerien beklaut.“ – „Wir Berber existieren für die da oben doch gar nicht. Für die gibt es nur Araber.“ Auf die Frage, ob sie eine autonome oder gar unabhängige Kabylei wünschen, wie die Politiker in der Hauptstadt immer wieder behaupten, muß keiner lange überlegen. Die einstimmige Antwort lautet: „Wir sind keine Separatisten. Algerien ist unser Land.“

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