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„Arm in Arm zu McDonald's“

Wenn Täter auf ihre Opfer treffen: Die Jugendgerichtshilfe des Bezirksamts Wandsbek bemüht sich um Ausgleich und Versöhnung zwischen Tätern und Opfern  ■ Von Lisa Schönemann

High Noon bei der Jugendgerichtshilfe Wandsbek: Täter und Opfer sitzen sich im kalten Dunst verglimmter Zigaretten an einem wackeligen Holztisch gegenüber. Zwischen ihnen hat sich eine geblümte Plastikdecke und ein gerüttelt Maß an Feindseligkeit ausgebreitet. Bei ihrer letzten Begegnung trug einer der Männer einen Nasenbeinbruch davon. Auch diesmal wird gerungen. Der 17jährige Täter kämpft mit einer Entschuldigung. Der Geschädigte schlägt sich seit dem Vorfall mit der Angst vor neuen Übergriffen herum.

Der sogenannte Täter-Opfer-Ausgleich wurde bei der letzten Novellierung des Jugendgerichtsgesetzes verankert. Danach soll sich ein junger Delinquent im Gespräch mit seinem Opfer bemühen, „einen Ausgleich mit dem Verletzten“ zu erreichen. Uwe Irmler, Leiter der Jugendgerichtshilfe Wandsbek, sieht den Wert der direkten Konfrontation darin, daß die Heranwachsenden die Tat „noch einmal aus der Sicht des Opfers erleben“.

Das von der Jugendgerichtshilfe organisierte Schlichtungsgespräch findet hinter verschlossenen Türen statt. Zugegen ist nur noch eine Sozialarbeiterin. „Manchmal sagen beide lange Zeit kein Wort“, beschreibt Susanne Sommerfeld die Situation. Einige Opfer erzählen dann, sie würden „dauernd was auf die Mütze kriegen“. Sommerfeld ist jedoch davon überzeugt, daß die Opfer einer Straftat oft „ganz zufällig“ ausgewählt werden. „Wir hatten hier unter den Verletzten auch schon einen richtigen Schrank von einem Kerl und sogar einen Polizeibeamten.“

Die Geschichten der Täter gleichen sich da eher. „Der hat meine Freundin angemacht“, heißt es oft. Deshalb wurde dem Gegenspieler eine Bierflasche über den Kopf gezogen. Dem am Boden liegenden Opfer fehlt hinterher ein Zahn, und eine Narbe über dem Auge erinnert daran, daß er zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen ist. Der Monate zurückliegende Streit hat zu einer Anzeige wegen Körperverletzung geführt. In solch einem vergleichsweise schweren Fall ist eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu einem außergerichtlichen Täter-Opfer-Ausgleich nicht eben leicht zu erlangen.

Die Jugendgerichtshilfe soll unter Verzicht auf strafrechtliche Maßnahmen sozialen Frieden wiederherstellen. Meist handelt es sich um Schlägereien oder die Beschädigung von Fahrzeugen – Dinge, die früher gar nicht erst angezeigt wurden. Sozialarbeiterin Sommerfeld setzt die ersten Hebel für die Versöhnung in Bewegung: „Wir schreiben die Opfer an und laden sie zu uns ein.“ Viele Verletzte sind heilfroh, ihre Erlebnisse schildern zu können und über ihre Ängste zu sprechen. Erst beim zweiten Termin kommt es zu einer Begegnung mit dem Täter. Sitzt der Beschuldigte dem Opfer dann tatsächlich gegenüber, prasseln nicht selten Fragen auf ihn nieder: „Weißt du eigentlich, was du mir angetan hast?“ „Warum hast du ausgerechnet mich ausgesucht?“ Und: „Was hab ich dir getan?“

Das ist nicht einfach für die jugendlichen Täter. Sie kippeln nervös auf den alten Holzstühlen und würden sich am liebsten unsichtbar machen. Vielen falle es schwer, Fehler einzugestehen, sagt Sommerfeld. Manche Täter machen kurz vor dem Termin einen Rückzieher. „Die genieren sich“, hat Sommerfeld beobachtet. Selbst unter Anleitung sei es eben schwer, einen Blumenstrauß zu kaufen und „dann auch tatsächlich loszugehen und sich zu entschuldigen“.

Außerdem muß die Frage der Wiedergutmachung geregelt werden. Sozialarbeiterin Sommerfeld zieht eine Tabelle zu Rate, die die MitarbeiterInnen der Jugendgerichtshilfe die „Knochentaxe“ nennen. Darin hat der ADAC aufgelistet, wie hoch die Entschädigungen sind, die bei bestimmten Verletzungen von den Gerichten angeordnet werden. „Manche Opfer übertreiben es“, hat Sommerfeld erlebt, „ein schlichter Nasenbeinbruch bringt halt keine 5000 Mark.“ Außerdem mache es keinen Sinn, einem mittellosen 15jährigen die Zahlung von so viel Schmerzensgeld aufzubrummen. Zumal sie oft auch noch die horrenden Forderungen der gegnerischen Krankenversicherungen bezahlen müßten. Kommt es dennoch zu einer höheren Summe, streckt der Opferfonds des Fürsorgevereins das Geld als Darlehen vor.

Haben Täter und Opfer sich am Ende die Hände geschüttelt, ist die Überraschung gelegentlich ganz auf Seiten der Sozialarbeiterin: „Die sind hier schon Arm in Arm hinausgegangen und schnurstracks mit einem gepumpten Zehner zum Versöhnungsessen zu McDonald's marschiert.“

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