piwik no script img

Realistisch bockig

■ Jugendkriminalität auf deutsch: "Falsche Liebe" (20.45 Uhr, Arte)

Wenn Familien auseinanderbrechen. Wenn säumige Väter sich verleugnen lassen. Wenn Mütter unter Termindruck stehen. Wenn alle nur noch mit ihrem Mobiltelefon kommunizieren. Dann wird es Zeit für die Tochter, eine Tankstelle zu überfallen. Und alles wird wieder gut.

Denn so ist das bei uns in Deutschland: Kinder werden nur kriminell, wenn sie von ihren Eltern vernachlässigt werden – außer sie sind Ausländer, dann sind sie Monster und müssen mitsamt ihrer Familie abgeschoben werden. Jenny (Susanne Bormann, schon auf besonderen Wunsch des Medienredakteurs besonders zu loben) hat es da doch etwas besser getroffen: aus gutem, aber geschiedenem Elternhaus stammend, Oberschülerin, bildhübsch und verknallt in einen Graffiti-Künstler, selbst künstlerisch hochbegabt – aber trotzdem kriminell. Mit ihrer Clique zusammen überfällt sie eine Tankstelle. Weil sie sich, so sind die Frauen seit Lots Weib, nach getanem Raubüberfall noch mal umdreht, muß ein heldenhafter Kassierer mit einer Flasche erschlagen werden. Jenny wird als einzige erwischt, verdächtigt und eingesperrt.

Yvonne (Andrea Sawatzki), der Mutter der Delinquentin, werden zwischen zwei Geschäftssitzungen von der Polizei die Augen geöffnet, und entsetzt muß sie realisieren, daß ihre Tochter bereits seit Monaten nicht mehr bei ihrer Freundin übernachtet, sondern statt dessen auf Überfalltouren geht.

Ab hier kommt die Fernsehrealität ins Spiel. Im Drehbuch von Christian Limmer riskiert die gerade noch streßgeplagte Yvonne plötzlich ihren hochdotierten Job, um nicht nur einen teuren Anwalt zur Verteidigung Jennys einzuschalten, sondern erstens auf eigene Faust nach dem wahren Täter zu suchen, zweitens ein Verhältnis mit einem Freund ihrer Tochter, Jonas (Dieter Landuris), anzufangen, und drittens und ganz allgemein „die Beziehung zu ihrer Tochter von Grund auf in Frage zu stellen“ (Arte-Pressetext). Da schluchzen die elektronischen Geigen im Hintergrund.

Die Geschichte bleibt also unspannend, denn „Falsche Liebe“ erklärt weder das Thema Jugendkriminalität, noch den Mutter- Tochter-Konflikt auch nur annähernd erträglich klischeefrei. Interessant ist „Falsche Liebe“ freilich trotzdem. Einerseits gibt der Film Aufschluß über den Imagewechsel des ewigen „Alles außer Mord“-Trottels Dieter Landuris. Der gibt zwar anfangs auch hier wieder den lieben, warmherzigen Wunschschwiegersohn mit den Softie-Augen – entpuppt sich aber dann als der große Hauptbösewicht im Hintergrund.

Andererseits und vor allem besticht „Falsche Liebe“ wegen der hervorragenden schauspielerischen Leistungen der beiden Hauptdarstellerinnen, die die junge Regisseurin Sibylle Tafel aus ihnen herauskitzelte. Die Qualität sitzt hier im Detail: wie sich Andrea Sawatzki immer wieder und ihrer weiblichen Reize sehr bewußt kleiner Unverschämtheiten bedient, um Männer für sich arbeiten zu lassen.

Wie sich die beiden Polizeibeamten Blicke des Unverständnisses zuwerfen, wenn sie die geschäftstüchtige Mutter über ihre mißratene Tochter aufklären. Und wie realistisch bockig Susanne Bormann die 15jährige Verbrecherin gibt – das ist sowieso eine Augenweide. Stefan Kuzmany

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen