: Revolution im Viertel
■ Bremer Alternativen, Teil 2: Von der Geburt der „behutsamen Stadtsanierung“ aus dem Geiste des Kleinbürgers / Wie Apo-Opa Olaf Diné mal ein Hochhaus bauen wollte
Am 10. Juli 1973 – vor genau 25 Jahren – hatte Bremens Viertel seinen 14. juillet, seine Revolution, seinen Bastillensturm – warum feiert das hier eigentlich keiner? Wie geschichtsvergessen will das saturierte, schmerbäuchige Viertel sich eigentlich noch zeigen?!
Helfen wir ihm ein wenig auf die Sprünge. Wie einst seine Vorfahren im Jeu de paume von Versaille war im schönen Juli das Volk der Sansculotten, waren die kleinen Geschäftemacher und Handwerker aus der östlichen Vorstadt zusammengeströmt, hatten im Chorprobensaal des Bremer Theaters die Tische und Fensterbänke besetzt und im entscheidenden Augenblick „Nein“ gerufen. Non, Njet, Va van culo. Geht nach Hause mit Euren bescheuerten Plänen. Ein Zeitalter ging damit zu Ende – im Morgenrot der Revolution erblickte das neue, das echte, „das Viertel“ das Licht der Welt.
Der Rest war Politik – doch greifen wir nicht vor.
Eine gradlinige Idee: das Tangentenviereck
Fünfzig Jahre zuvor hatte die Weimarer Republik eine Idee geboren: „das Tangentenviereck“ – die dreifache Autobahn-Umgürtelung der Stadt. Die Idee dräute und drängte durch die Nazizeit und bekam in den schönen Fünfziger Jahren ihre festumrissenen Pläne. Die Mozarttrasse war geboren, der Plan einer Stadtautobahn knapp an der Innenstadt vorbei, quer durch das Viertel über die Weserarme hinweg, wiederum quer durch das Buntentor und dann rüber zur Autobahn im Südwesten.
So weit, so gradlinig: Rund um das Ostertor wurden darauf zwecks künftigen Durchbruchs weitere Investitionen verboten; die Stadt begann Häuser aufzukaufen; 1967 schrieb ein Flächennutzungsplan die Hansestadt als künftige Millionenstadt fest, und das Ostertorviertel bekam also zusätzlich zu den Trassenplänen noch seine Flächensanierung zum Hochhausquartier.
1971 standen die Bebauungspläne, 1972 das notwendige Ortsgesetz. Es konnte losgehen.
„Wenn es fünf Jahre früher losgegangen wäre“, sagt Herbert Wulfekuhl, der heutige Leiter der Bremer Landeszentrale für politische Bildung in ihrer großbürgerlichen Villa am Osterdeich 6, „dann würde ich hier heute nicht sitzen.“ Dann wäre die Autobahn quer durchs bildungspolitische Wohnzimmer seiner Arbeitsstätte verlaufen. Herbert Wulfekuhl war damals, 22 Jahre jung, gerade zum ersten Amtsleiter für den ersten Beirat Bremen Mitte/ Östliche Vorstadt gekürt worden.
Die Juso-Apos schlagen zurück
Am 11. April 1972 hatte dieses neue Gremium im Viertel seine konstituierende Sitzung und schon schnell war klar, wer hier das Sagen hatte: Olaf Dinné, der Juso und Dutschke-Freund, der sieben Jahre später Bremens Grüne gründen sollte. Im Schnoor hatte der junge Architekt mit seinen Künstlerfreunden den Abriß verhindert und war genervt durch deren „Verschnuckelung“ ins Viertel gezogen, „wo er mit der Flächensanierung eine neue Gefechtslage vorfand“ (Wulfekuhl). Mit dem neugegründeten Beirat fand sich das ideale Arsenal für den Widerstand.
Die Jusos spielten mit Wollust innerparteiliche Opposition und freuten sich, basisnah „auf der Reproduktionsebene“ dem Koschnick-Apparat ins Getriebe pinkeln zu können. Die Anti-AKW-Bewegung um Peter Willers hatte mit Esensham gerade ihre erste Hochzeit, und die Medien freuten sich diebisch über die Performances, die da im neuen Beirat zu goutieren waren: „Unsere einzige Macht bestand ja darin, die Behördenvertreter vor den Beirat zu laden und einen nach dem anderen schonungslos 'abzuduschen'“, grinst der einstige Ortsamtsleiter Wulfekuhl noch heute in diebischer Freude. Dabei war man eigentlich gar nicht so revolutionär gesonnen, hielten sich doch die Massen im Viertel, das kleinbürgerliche Volk, eher vornehm zurück.
Daß die Trasse kommen würde, darüber war man sich einig. Fragte sich nur noch, wie am besten versteckt werden könnte.
Ein untertunneltes Hochhaus nach den Plänen von Olaf Dinné
In einem riesigen Tunnel, so der Vorschlag des innovativen Geistes Olaf Dinné: vom Rembertiring bis runter zum Wasser und längelang obendrauf ein zwölfstöckiges Wohnhaus. So wie in Wilmersdorf, in Berlin.
Mit dieser Idee zog man in die Schlacht. In die Redeschlacht. Zum 10. Juli 1973 lud der Beirat das Volk in den Chorprobensaal des Bremer Theaters, damit dieses in einem Vergleich der verschiedenen Pläne einmal mehr die Verwaltung ,abduschen' möge. Und das doofe Volk sagte „Nein“, „Njet“, und es sprach: „Wenn ihr uns schon fragt, dann sagen wir Euch hier und sagen Euch heute: Wir wollen die Trasse überhaupt nicht. Nicht so und auch nicht im Tunnel. Wir wollen hier leben und wieder an unseren Häusern herumbauen dürfen“ (Reporterton Wulfekuhl). Der Beirat war platt. Dann sagte er: Das Volk hat gesprochen, lange lebe das Volk.Der Rest ,wie gesagt, war Politik.
Aus der Millionenstadt Bremen wird leider nichts
Die Ursachen, warum es einer Handvoll Beiratspolitikern dann zwischen Juli und Dezember 1973 gelang, die Mozarttrasse zu kippen, faßt Herbert Wulfekuhl in fünf Gründen zusammen: „Erstens: Das Statistische Landesamt kam mit seinen Berechnungen raus und klar war, aus der Millionenstadt Bremen wird nichts. Zweitens: der erste Ölschock. Drittens: Koschnick scheiterte mit seinem Versuch, den Bürgermeisterposten und den Landesvorsitz in sich zu vereinen. Viertens: Wir konnten die Genossen im Neustadt-Beirat davon überzeugen, daß die Mozarttrasse auch ihre Angelegenheit ist: Fünftens. Mit neuen Kostenberechnungen brachten wir Bausenator Seifriz in die Defensive.“
In zwei furiosen Sitzungen am 4./5. Dezember 1973 kippten Mozarttrasse und Flächensanierung in den Orkus der Geschichte. Schon ein Jahr später stand der neue Bebauungsplan für das Milchquartier rund um die Mozartstraße. 1975 führte die CDU noch einmal Wahlkampf mit den Trassenplänen – und verlor. Seit 1976 begann das vorsichtige Volk im Viertel zögernd Sanierungsmittel für den „Objektschutz“ ihrer Häuser abzurufen. Die Revolution war zu Ende. Die Welt trat in das Zeitalter der „behutsamen Stadtsanierung“ ein.
Postskriptum: 25 Jahre – und noch immer Vorbild
Und heute? Einmal in 25 Jahren noch sollte es einer wagen, die Viertelbewohner in ihrer behutsam sanierten Ruhe zu stören. Sein Name war Dietrich „Hucky“ Heck, seines Zeichens grüner Nachfolger in Herbert Wulfekuhls Ortsamtssessel. Mit seiner verkehrsberuhigten Zone Ostertorsteinweg brachte er noch einmal die revolutionären Gefühle des Viertels zum Brodeln.
Doch längst sind auch diese Zeiten wieder vorbei – heute gilt die Östliche Vorstadt im Bremer Amt für Raumordnung und Stadtentwicklung als Vorbild für Bremen. Gerade wegen seiner Durchmischung der Menschen- und Verkehrsströme. In diesem Frühjahr legte Sunke Herlyn, der Leiter des Amtes, den Entwurf für ein neues Bremer Stadtentwicklungskonzept vor. Urbanität statt Entmischung ist das Motto. Das Viertel als Vorbild für Walle/Utbremen, Schwachhausen/Horn-Lehe und Blumenthal/Lesum.
Robert Bücking, der derzeitige Ortsamtsleiter für Mitte/Östliche Vorstadt, sieht das genauso: das Viertel – nicht Geschichte, sondern grenzenloses Innovationspotential. „Wir haben hier chinesische Zuwachsraten bei den neuen Berufsfeldern im Dienstleistungssektor, der Werbung, den Designern, bei allem, was mit der Arbeit am Computer zu tun hat.“ Arbeit & Wohnen eng bei eng – mit diesem Pfund könne man im Zeitalter der Vernetzung doch erst richtig wuchern. Stillstand ist da kaum möglich: „Dadurch entstanden die Grünen – aber auch die Kritik an den Grünen.“ Von Verkehrsberuhigung zumindest spricht heute kaum noch jemand. Und auch die Revolution ist eher Schnee von gestern. ritz
Bis zum 23. August läuft im Fockemuseum die Ausstellung „Die Straße – Urbanes Leben im Viertel“ – zu dem es auch einen lesenswerten Katalog gibt (herausgegeben von Michael Müller und Franz Dröge)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen