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Religionsfreiheit oder Freiheit von Religion?

■ betr.: „Unterricht? Nicht mit dei nem Kopftuch“, „Und mit Kippa?“, taz vom 17. 7. 98

Die Gründe, die Baden-Württembergs CDU-Kultusministerin gegen das Kopftuchtragen im Schulunterricht vorbringt, sind nachvollziehbar. In der Tat müßte eine islamische Lehrerin bedenken, was ihr erfolgreiches Beharren auf das Kopftuch bedeuten würde in unzähligen hier lebenden Familien, deren Töchter es schwer genug haben, sich gegen allzu orthodoxe und autoritäre Elternansprüche zu behaupten. Der deutsche Staat hätte Desintegration gefördert und mitgeholfen, Druck zu erzeugen. [...] Peter Horvath, Heilbronn

[...] Sinnigerweise wird im Kommentar von Cem Özdemir die Frage gestellt, ob „wir zukünftig die jüdische Kippa, das Mönchs- und Nonnenkostüm ebenfalls verbieten“ wollen. Das ist die falsche Frage, denn vor dem Hintergrund der Schavanschen Begründung des Kopftuchtrageverbotes wird auch das Nichttragen eines Kopftuches (oder Kippa oder oder ...) zu einer religiös-politischen Äußerung, die nur wegen der zahlenmäßigen Überlegenheit wenig signalhaften Charakter besitzt, ist doch Barhäuptigkeit in einem christlichen Land genauso Symbol für kulturelle Gepflogenheit wie das Bedecken der Haare in einem muslimischen.

Tolerant wäre es, Vielfältigkeit im Unterricht zuzulassen und so Toleranz „vorzuleben“, um eine eigene freiheitliche Entscheidung zu ermöglichen, sich überhaupt einer Religion und damit auch Lebensanschauung zuzuordnen. Claudia Wiedeck, Frankfurt

Die Religionsfreiheit ist das Gegenteil zu: Freiheit von Religion. [...]

Ausnahmslos alle Argumente von Frau Schavan verkehren ethische Grundsätze in ihr Gegenteil: Religionsfreiheit besteht nicht in Anpassung, sondern in Ausübung der eigenen Religion. Ein Kopftuch zu tragen ist nicht intolerant und gefährdet nicht die religiöse Entfaltung junger Menschen, sondern ergänzt sie durch die Vielfalt erwachsener Vorbilder. Religiöse Neutralität besteht nicht in Religionslosigkeit oder westlicher Anpassung, sondern in toleranter religiöser Identität. Eine so verstandene Toleranz beugt jedem Fundamentalismus vor – dem deutschem wie jedem anderen auch. [...] Christoph Halbey, Mainz

[...] Ich finde, es ist hier in Deutschland v. a. ein Problem der Linken: Auf der einen Seite haben wir den Anspruch auf Emanzipation der Frau und geißeln den islamischen Fundamentalismus, Chomeini-selig und Taliban (Gott sei Dank). Auf der anderen Seite haben wir kopftuch- bzw. tschador- bekennende Frauen, die ihre Befreiung darin sehen, ihre Persönlichkeit jenseits aller (männlichen) Geschlechtsbetrachtung ausleben zu können. Und dann wäre da noch die Religionsfreiheit. Großes Dilemma. Kleine Lösung auf dem großen Weg: Qualifizierter Islamunterricht an unseren Schulen. [...]

Nebenbei: Man muß schon ziemlich vernagelt sein, um vor Grundschul-Kindern auf dem Kopftuch zu bestehen. Hätte ich ein Kind, würde ich nicht wollen, daß dessen Lehrerin ein Kopftuch trägt. Lieber das Kruzifix an die Wand – das hängt nämlich ziemlich unbemerkt vor sich hin, während das Kopftuch eine Identifikationsperson trägt. [...] Silvana Beer, Hildesheim

In Abwandlung von Teufels Satz „Warum soll nicht auch entscheidend sein, was eine Person im Kopf bewegt, was sie auf dem Kopf trägt“: Kann man nicht von einer Lehrerin erwarten, persönliche Anschauungen gegenüber den ihr anvertrauten SchülerInnen zurückzustellen angesichts der großen Wirkung und des hohen Stellenwertes von Symbolen in unserer Gesellschaft. Zu fragen ist, warum will Frau Ludin das Kopftuch tragen, obwohl es nicht zu den religiösen Pflichten „einer Muslimin“ gehört und ihr bekannt sein müßte, wie die Menschen in ihrer Umgebung dieses „Signal“ einschätzen.

Hier geht es nicht um Wahlkampf oder Menschheitsbeglücker im Stuttgarter Landtag, sondern um Rechte und Pflichten des Individuums in staatlichen Diensten. Bernd Lang, Hattingen

[...] Frau Ludin hat sich durch bedenkliches Zurschaustellen ihrer Kopfbedeckung für den Schuldienst disqualifiziert. Was aber droht ihren christlichen Kollegen/ Kolleginnen, deren Hundertschaften die Schullandschaft bevölkern, wenn sie sich mit Kreuzen behängen?

Ich erinnere mich, daß wir in der Grundschule von einer christlichen Deutschlehrerin zum kollektiven Gebet aufgefordert wurden, im Stehen und mit gefalteten Händchen. Ich erinnere mich weiterhin, daß, wann immer ich im Religionsunterricht saß, dort nicht wirklich Information über verschiedene Religionen geboten, sondern vielmehr versucht wurde, uns christliche Ideologien und Weltanschauungen einzutrichtern. [...] Und selbst heute, nach 13 Jahren Schule, sehe ich immer noch Lehrer und Lehrerinnen gleichermaßen munter mit Kreuzchen um den Hals ungestraft einherspazieren. [...] Da fragt man sich doch: Wo bleibt die uns gesetzlich zugesicherte Religionsfreiheit?

Meiner Meinung nach gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder alle religiösen Elemente aus dem Unterricht und der Erziehung entfernen, damit das Opfer später selbst entscheiden kann, ob es sich solcherart beschränken will, oder aber totale Religionsfreiheit geben, ungeachtet der Konsequenzen, und das hieße, Frau Ludin in den Schuldienst zu übernehmen. Der status quo ist jedenfalls untragbar und Sinnbild für CDU-typische Intoleranz anderen Kulturen und Religionen gegenüber. [...] David Petschull, 12. Klasse der

Odenwaldschule, Heppenheim

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