: Kämpfe im Kosovo erreichen die Städte
■ Straßengefechte um die 20.000 Einwohner zählende Stadt Orahovac. Viele Tote beim mißglückten Eindringen albanischer Partisanen von Albanien in den Kosovo
Sarajevo (taz) – Die bewaffneten Auseinandersetzungen im Kosovo haben an diesem Wochenende einen neuen Höhepunkt erreicht. Dabei kamen mindestens 110 Menschen ums Leben, wie es in gut informierten Kreisen in Priština, der Hauptstadt der serbischen Provinz, hieß.
Schauplätze der Gefechte zwischen bewaffneten Kosovo-Albanern und serbischen Einheiten waren die Grenze zu Albanien und die strategisch wichtige Stadt Orahovac im Südwesten des Kosovo. Nach serbischen Angaben drängten Einheiten der serbischen Polizei gestern albanische Untergrundkämpfer aus der Stadt. Es gebe aber noch vereinzelte Kämpfe mit versprengten bewaffneten Gruppen.
Neu an der Entwicklung ist, daß es erstmals offene Kämpfe in einer Stadt gegeben hat, sieht man von Schießereien der vergangenen Wochen in Vororten von Pec ab. Bisher hatten es beide Seiten vermieden, Städte in die Auseinandersetzungen einzubeziehen. Unterschiedlichen Angaben zufolge brachen die Kämpfe offenbar aus, als eine Gruppe von Kämpfern der Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) das dortige Hauptquartier der serbischen Polizei angriff. Es soll auf beiden Seiten Tote und Verletzte gegeben haben.
Orahovac war seit 1990 als Polizeistützpunkt ausgebaut worden. Dort gibt es auch ein Gefängnis. Da die serbische Polizei häufig willkürliche Verhaftungen vornimmt, könnte es sich auch um lokalen Widerstand gegen eine solche Aktion gehandelt haben, der sich dann ausweitete. Dafür spricht die Darstellung des albanischen Kosovo-Informationszentrums, nach der serbische Polizisten einen Albaner erschossen hätten und so die Gefechte ausgelöst wurden. Die Bevölkerung habe sich in Kellerräumen in Sicherheit gebracht oder sei aus der Stadt geflüchtet.
In der 20.000 Einwohner zählenden Stadt Orahovac lebt eine etwa 20prozentige serbische Minderheit. Belgrader Medien meldeten gestern, 40 Serben seien von den UCK-Kämpfern entführt worden. Die Ereignisse in Orahovac haben serbische Polizisten wie auch die serbische Zivilbevölkerung verunsichert. Die serbische Bevölkerung ist schon in anderen Landesteilen in Panik geraten und zum Teil geflohen.
Um die psychologische Lage der serbischen Polizeieinheiten und Soldaten steht es ohnehin nicht zum besten. Trotz einer „Strategie der verbrannten Erde“ entlang der Grenze zu Albanien – die meisten Dörfer dort wurden zerstört, Frauen und Kinder sind vertrieben oder geflohen – ist es ihnen nicht gelungen, selbst dieses Gebiet vollständig zu kontrollieren. Da die serbischen Truppen ihre Kräfte aufsplittern müssen, ist der Guerillakrieg gegen sie durchaus effektiv.
Immerhin gelang es den Serben nach eigenen Angaben, eine Gruppe von 1.000 Kosovo-Albanern an einem Grenzübertritt von Albanien her zu hindern. Lediglich 200 Mann seien durchgekommen. Angaben aus Priština zufolge kamen bei dem Durchbruchsversuch 90 Menschen ums Leben, andere Berichte sprachen von 50 Opfern. Die serbischen Einheiten beschossen dabei offenbar auch albanisches Gebiet. Die Regierung in Tirana warf daraufhin Jugoslawien die Verletzung seiner territorialen Integrität vor, was wiederum von Belgrad bestritten wurde.
Das diplomatische Geplänkel sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es bei solchen Auseinandersetzungen in diesem unübersichtlichen Gebirge leicht zu Grenzverletzungen kommen kann. Der Vorfall zeigt aber auch, daß die UCK weiterhin versucht, Kämpfer, Waffen und Material über die Berge nach Kosovo zu bringen, und daß die serbischen Streitkräfte die Grenze durchaus zu kontrollieren in der Lage sind. Erich Rathfelder
Kommentar Seite 10
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