: DDR-Spezialrenten vor Gericht
■ Das Bundesverfassungsgericht verhandelt heute über die Höhe der Renten für einzelne Berufsgruppen in der DDR. Betroffen sind vor allem Professoren und systemnahe Staatsdiener
Freiburg (taz) – Das letzte große Kapitel der juristischen DDR- Aufarbeitung steht heute vor den Verfassungsrichtern in Karlsruhe: die Diskriminierung vieler ehemaliger DDR-Bürger im Rentenrecht. Ein Thema, das im Westen Deutschlands bisher kaum wahrgenommen wurde, im Osten aber für heftigen politischen Streit sorgte.
Konkret geht es um die Art und Weise, wie nach der Wende mit privilegierten DDR-Spezialrentnern umgegangen wurde. So bekamen zu DDR-Zeiten 60 Berufsgruppen, von den Staatsbediensteten bis zum Ballettänzer, eine mitunter ansehnliche „Zusatzversorgung“ zur kümmerlichen DDR-Rente von im Schnitt 570 Mark (1990). Volkspolizei, Armee und Staatssicherheit hatten sogar eine (beamtenähnliche) „Sonderversorgung“. Insgesamt gab es zum Zeitpunkt der Wende etwa 300.000 solche Spezialrentner. Im Laufe der Zeit wird ihre Zahl allerdings bis auf zwei Millionen wachsen.
Diese Privilegien wurden nach der Wende als illegitim und die daraus folgenden Renten als „überhöht“ angesehen. Deshalb wurden die Zusatz- und Sonderversorgungen in die ganz normale Rentenversicherung integriert – was dazu führte, daß sich die meisten Rentenansprüche stark reduzierten. „Ich bekomme heute nicht mehr Rente als mein Assistent, der es in seinem ganzen Leben nur zu drei wissenschaftlichen Veröffentlichungen gebracht hat“, klagt etwa Professor Gottfried Schuster aus Leipzig, ein Biologe. Diesen „Rentenkommunismus“ hat er gerade von der kapitalistischen Bundesrepublik nicht erwartet. „Früher durften wir nicht reisen, heute fehlt uns das Geld, um Kongresse im Ausland zu besuchen“, klagt Schuster, der inzwischen als Sprecher einer Betroffenenvereinigung agiert (Vereinigung für gerechte Angleichung der Altersversorung der Hochschullehrer in Ost und West). „Daß unsere Lebensleistung nicht anerkannt wird“, so Schuster, „das schmerzt uns mehr als alle materiellen Einbußen.“
Noch härter traf es rund 100.000 Angehörige „systemnaher Berufe“, insbesondere im Staatsapparat. Hier galt das Prinzip: Je mehr man einst verdiente, um so weniger Rente bekommt man heute. Wer etwa früher 180 Prozent des Durchschnittsverdienstes erhielt, bekommt heute nicht mehr als ein ehemaliger Durchschnittsverdiener.
Den tiefsten Fall mußten aber die ehemaligen Stasi-Mitarbeiter hinnehmen. Ihr einstiges Einkommen wird generell nur noch bis maximal 70 Prozent des DDR-Durchschnitts für die Rentenberechnung herangezogen. Eine Regelung, die nicht nur für Stasi-Größen wie Erich Mielke gilt, sondern ebenso für eine Küchenhilfe in der Stasi- Kantine.
Die Betroffenen halten dieses sogenannte Rentenstrafrecht für verfassungswidrig. „Hier werden pauschal ganze Bevölkerungsgruppen bestraft, ohne daß sie sich im Einzelfall entlasten können“, klagt die PDS.
Die Kläger berufen sich auf die Garantien, die der deutsch-deutsche Einigungsvertrag den von der DDR übernommenen Rentnern gab. Sinngemäß hieß es dort: Wer schon zu DDR-Zeiten Rentner war oder kurz vor der Rente stand, sollte im gemeinsamen Staat nicht weniger als zuvor erhalten. Später aber wurde diese „Zahlbetragsgarantie“ doch auf 2.700 Mark begrenzt, für Stasi-Mitarbeiter sogar auf nur 802 Mark. „So kann ein Rechtsstaat doch nicht mit seinen Bürgern umgehen“, klagt Professor Schuster.
In der Zwischenzeit hat sich politisch allerdings etwas bewegt. 1996 wurde das „Rentenstrafrecht“ stark entschärft. Es gilt nun nur noch für Stasi-Angehörige und die Spitzenkräfte im Staatsapparat, das heißt ab Hauptabteilungsleiter aufwärts. Statt 100.000 Personen sind nur noch etwa ein Viertel betroffen. Allerdings gilt die Regelung nicht rückwirkend für die Jahre 1992–96. Das hätte nämlich rund 500 Millionen Mark mehr gekostet. Die Kläger hoffen nun auf das Verfassungsgericht.
Um die vielen unterschiedlichen Konstellationen zu erfassen, hat Karlsruhe neun Fälle ausgesucht, die heute verhandelt werden. Insgesamt gab es 75 Verfassungsbeschwerden und 28 Richtervorlagen, davon allein neun vom Bundessozialgericht in Kassel. „So etwas hat es noch nie gegeben“, staunte Gerichtssprecherin Uta Fölster. Der neue Vorsitzende des zuständigen Ersten Senats, Hans- Jürgen Papier, hat sich das Mammutverfahren allerdings erspart. Er gilt als befangen, weil er 1994 der Bundesregierung per Gutachten attestierte, daß verfassungsrechtlich alles in Ordnung sei. Christian Rath
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