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Schüsse und Sirenen – zum Glück weit weg

■ Amerikatour, 2. Teil: Nachdem Lars Reppesgaard, taz-US-Korrespondent und Gitarrist der Punkband ASE, seinen begründeten Verfolgungswahn und die Folgen des Jetlag heil überstanden hat, referiert er von der Bremer Heimat aus auf ein Neues über das komplizierte double-bind-Verhältnis des Amerikaners zum Bier und dem Rest der Welt

Seattle, Washington

6. & 7. Juli

Seattle ist eine sehr europäisch geprägte Stadt mit einem ausgefeilten Nahverkehrssystem, einer ebensolchen Kaffeehauskultur und engen, kurvig sich dahinschlängelnden Straßen, die einem Berg gut anstünden. Es gibt große Universitäten und – dank Bill Gates und den Flugzeugbauern Boeing – viele gut bezahlte Dienstleistungsjobs. Noch immer ziehen Bands aus der Provinz in die „Sub Pop Rock City“, wie die Grunger von „Soundgarden“ Seattle einmal genannt haben, um groß rauszukommen.

Kein Wunder, daß es hier nicht nur eine Alternativszene gibt, sondern viele. Und die existieren ohne Berührungspunkte nebeneinander her. Gut, daß wir gleich zwei Konzerte in der Hauptstadt des Grunge spielen. Das erste ist im „Off Ramp“, einer schummerigen Bar neben einer Highway-Ausfahrt. Nur wer über 21 ist, darf überhaupt das Konzert besuchen. Sogar unsere Ausweise werden streng kontrolliert. Dafür gibt es zwei Longdrinks pro Bandmitglied – das erste Mal, daß ein Veranstalter für Bandgetränke sorgt. Außerdem sind eine ganze Reihe Leute, die uns beim Punker-Bergfest in Tenino gesehen haben, wieder da; wegen uns! Das derbe Crustkonzert vor älterem Publikum an die 30 und drüber erinnert von der Stimmung her an die Friesenstraße in Bremen.

Der „Velvet Elvis“ dagegen, ein ausgedientes Kino mit Büro im alten Filmvorführraum, ist der Ort, an dem sich die Hardcore-Jugend vergnügt. Die Kids machen selbst die Kasse und müssen sehen, daß die Miete für den Laden wieder reinkommt. Die Stimmung in den Plüschsesseln und im Gedränge vor der Bühne ist großartig. Alles ist mit Teppich ausgelegt, der Laden wirkt wie ein riesiges Wohnzimmer. Getrunken werden darf natürlich nicht, dafür können alle ohne Altersbegrenzung rein.

Und so sind wir alle einen Kopf größer als die quirligen Jungs mit den weiten Hosen und den Baseballmützen und kommen uns auf einmal ganz furchtbar alt vor. Einmal mehr verziehen wir uns mit unseren Zwölfer-Pappkisten Old Milwaukee-Bier ins Auto und fingern die Bierdosen so diskret aus dem Karton, wie die Jungs in alten Teeniefilmen ihre Mädels aus den Tweedröcken. Wir müssen die Dosen etwas tiefer als sonst in die Autositze vergraben, denn heute beäugen uns die amerikanischen Polizisten, die sonst so gut wie nie aus ihren Autos steigen, von oben. Schließlich liegt der „Velvet Elvis“ in der historischen Altstadt von Seattle. Und die wird traditionsgemäß mit dem Pferd patrouilliert.

Portland, Oregon

8. Juli

Das Haus im Nordosten Portlands sieht aus wie all die anderen Holzhäuser. Die Bewohner der 4038 Mississippi Street tragen abgeschnittene Tarnhosen und schwarze T-Shirts mit Bandaufdrucken, wie alle Punker. Nur eines fehlt in dieser Punk-WG: Nicht eine einzige Bierflasche liegt im ganzen Haus herum. Die Kommune vegetiert drogenfrei, Kaffee und Nikotin eingeschlossen. „Straight edge“ nennt sich dieser Lebensstil, eine Idee, die Mitte der 80er vor allem von US-Hardcorebands wie Youth Of Today propagiert wurde. Die sind heute Krishnas und auch sonst hielten wir diese wunderliche Spielart der Punk- und Hardcore-Subkultur eigentlich für ausgestorben.

Dem drogenfreien Lebensstil der Mississippi-Street-Bewohner verdanken wir aber immerhin die Tatsache, daß es überhaupt einen Ort für Punkkonzerte in dieser 445.000-Einwohnerstadt gibt. Gerade wurde die letzte konzerttaugliche Bar dichtgemacht. Seitdem ist das Straight Edge-Kollektiv eingesprungen und stellt der Szene den Schuppen im Garten für alkoholfreie Konzerte zur Verfügung. „Mit dem Vermieter hatten wir dabei keine Probleme,“ sagt einer der Straight-Edger. „Er meinte, er kennt uns und weiß ja, daß wir nicht trinken oder Drogen nehmen.“

Außer den Hausbewohnern hält sich aber niemand so richtig an das heilige Reinheitsgebot. Im Schuppen selbst trinkt zwar niemand. Dafür tobt die Party im Innenhof und in den Autos an der Straße. Doch die Polizei im armen, überwiegend von den wenigen Schwarzen Oregons bewohnten Nordosten Portlands scheint anderes zu tun zu haben, als jugendliche Trinker zu schikanieren. Als ich zum Feiern in Kevins Auto sitze, sind Schüsse und Sirenen zu hören – zum Glück weit, weit weg. Kevin zuckt mit den Schultern, legt sein ständig klingelndes Handy beiseite und schnappt sich die Whiskey-Flasche.

Merced, Kalifornien

9. Juli

Eine kleine heiße langweilige Stadt in Südkaliforniern fernab des kühlen Meeres, in der nur Langweiliges passiert. Immerhin, die ersten Latino-Kids bei einem Konzert, während Punk ansonsten im angeblichen Melting Pot eine ziemlich weiße Angelegenheit ist. Farbige Punkaktivisten wie der Skinhead Orlando aus Oakland sind die absolute Ausnahme.

Los Angeles, Kalifornien

10. Juli

Unser Gastgeber kann um sechs Uhr abends kaum noch stehen, winkt uns aber freundlich in ein Haus, das an eine einstöckige Disney-Version von Pippi Lang-strumpfs Villa Kunterbunt erinnert. Er heißt C.K. (und ist natürlich nicht mit unserem Kulturredakteur Christoph Köster identisch, sondern spricht sich 'Ssiiii Käi' aus). Und wohnt noch bei seinen Eltern. Um genau zu sein: Das Konzert ist im Haus seiner Eltern. C.K.s Residenz ist ein Labyrinth, C.K.s Vater hat immer neue Ecken, Nischen, Räume angebaut, eigenartige Verschläge zurechtgezimmert, einen zehn Meter hohen Ausguck auf das Dach gesetzt und schließlich im Vorraum zur Garage einen riesigen Propeller angebracht. Der „Propellerroom“ ist einer der wenigen Freiräume in diesem einhundert Kilometer und vierzig Kilometer breiten Stadt-Ungetüm, in dem vom Hollywood-Glamour wenig zu merken ist. Zusammen mit den umliegenden Städten hat die Los Angeles Metropolitan Area über 8 Millionen Einwohner. Immerhin rund fünfzig von ihnen kommen regelmäßig in den „Propellerroom“, um Punkkonzerte zu hören. Das sind etwa 0,0007 Promille. Damit weist L.A. einen niedrigen Berauschungsgrad auf.

Den Eltern ist es recht, daß ihr Filius einen Teil des Hauses zum Hardcore-Hauptquartier der Stadt umfunktioniert hat. „Ich mag diese jungen Leute,“ sagt sein Vater. Inmitten der tobenden Punkerparty näht C.K.s Mutter ein paar Kleider. „Die müssen ja rechtzeitig fertig werden, sonst bekomme ich Ärger mit meinen Kunden,“ sagt sie – Turbokapitalismus pur. Sie ist selbständige Schneiderin, nicht mal am Freitag abend ist Feierabend.

Während sie aber mit dem Getöse von Ex-Mass und Korrupt hervorragend zurecht kommt, ist das Los Angeles Police Department anderer Ansicht. Wir sind gerade im Begriff, die ersten Töne anzustimmen, als ein Streifenwagen hält. Selbst C.K. scheint schlagartig nüchtern und verhandelt mit den Beamten „L.A.s Finest“, wie die Polizei, die als die brutalste in den Vereinigten Staaten gilt, sarkastisch genannt wird. Sie respektieren den Privatbesitz, „Was sie da drinnen treiben, ist ihre Sache. Aber wenn man es auf der Straße hören kann, dann ist es nicht mehr ihre Sache, sondern unsere.“ Es ist kurz nach zehn Uhr abends, als wir die Verstärker ausschalten.

Lars Reppesgard

Vermutlich am Donnerstag erscheint der dritte und letzte Teil dieses Amerika- Erfahrungsberichts

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