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Diestel überrascht Ostrentner

Bei der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über DDR-Sonderrenten trat der letzte Innenminister Diestel auf. Bonn verweist auf Volkskammer  ■ Aus Karlsruhe Christian Rath

Weiße Haare und graue Anzüge prägten gestern das Bild im großen Saal des Bundesverfassungsgerichts. Die betroffenen Rentner aus dem Osten der Republik wollten selbst sehen, wie das Gericht in Karlsruhe ihre Forderung nach höheren Renten für Professoren und Staatsbedienstete verhandelt.

Eigentlich sind die Rentner im Osten Deutschlands die Gewinner der Einheit, darüber waren sich gestern auch Kläger und Bundesregierung einig. So stiegen die Renten in den neuen Ländern in den letzten acht Jahren um 70 Prozent – inflationsbereinigt.

Doch nicht alle Rentner profitierten. Wer einst eine Zusatz- oder Sonderversorgung bekam, vor allem Professoren und Staatsbedienstete, dem ging ein Teil der Ansprüche verloren. Ein Ostprofessor etwa bekommt im Alter nur etwa ein Drittel eines Westkollegen. Die Renten „systemnaher“ Funktionsträger und Stasi-Mitarbeiter wurden durch das sogenannte „Rentenstrafrecht“ noch stärker gekürzt. Stasi-Rentner erhalten nur 70 Prozent des durchschnittlichen Satzes ehemaliger DDR-Bürger.

Die Bundesregierung verteidigte diese Entscheidung auch gestern vor dem Verfassungsgericht. Ein Ministerialrat mit dem suggestiven Namen Georg Recht betonte: „Die Grundentscheidungen hat noch die DDR-Volkskammer getroffen.“ Dem widersprach – als nicht geladener Überraschungsgast – der damalige CDU-Innenminister Peter-Michael Diestel: „Die Rentenabsenkung für Stasi- Leute haben wir nur gemacht, um kurzfristig den Volkszorn zu besänftigen. Gleichzeitig haben wir aber den Betroffenen versprochen, daß es nach der Einheit wieder rechtsstaatlich zugeht.“

Als beispielhaft wertete der Klägeranwalt Axel Azzola die westdeutsche Behandlung der Staatsdiener nach dem Zweiten Weltkrieg. „Das war ein fairer Umgang, der dem wertneutralen Rentenrecht entsprach“, so der bekannte Links-Jurist. Nur die Nazis hätten bislang das Rentenrecht zu Diskriminierungen mißbraucht.

Diskutiert wurde in Karlsruhe auch, ob die DDR überhaupt in der Lage gewesen wäre, ihre Rentenversprechen einzuhalten. Gerade die hohen Zusatzrenten für die „Intelligenz“ waren oft nur ein „Wechsel auf die Zukunft“, quasi als Ersatz für nicht finanzierbare Gehaltserhöhungen.

Verhandelt wurden gestern über neun Fälle, die das Gericht repräsentativ aus einer Vielzahl von Klagen ausgewählt hatte. Prominentestes „Opfer“ im Gerichtssaal war der Urologe Moritz Mebel, der in den 60er Jahren in der DDR die Nierentransplantation mitentwickelt hatte. Er muß wegen des Wegfalls seiner Zusatzversorgung auf 60 Prozent der erwarteten Rente verzichten.

Mit einem Urteil ist frühestens in einigen Monaten zu rechnen.

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