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Diese Preispolitik „können wir nicht hinnehmen“

■ Der Internist Jan Geldmacher, Mitglied des Arzneimittel-Gremiums des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, meint, Viagra sei im Rahmen des Arzneimittel-Budgets des Arztes zu teuer

taz: Die Entscheidung des Bundesausschusses, das Potenzmittel Viagra nicht als Kassenleistung aufzunehmen, dürfte sich als Flop herausstellen. Sobald ein querschnittsgelähmter Mann das Mittel erklagt, ist Ihre Entscheidung doch hinfällig.

Jan Geldmacher: Wir haben eine Klage einkalkuliert. Uns geht es nicht nur um die Kosten, uns geht es auch um den Mißbrauch, der damit getrieben werden kann. Es sind 15 Männer an dem Mittel gestorben. Hätten wir das Mittel befürwortet, müßten wir diese Folge mittragen. Außerdem ist Viagra mit 28 Mark extrem teuer. Es wurde als Herzmittel entwickelt. Und mit dieser Indikation würde der Preis für eine Pille vielleicht bei 2,50 Mark liegen. Nun bekommt es eine andere Indikation, und prompt verzehnfacht sich der Preis. Pfizer, der Hersteller, hat in den USA seinen Gewinn um fast 40 Prozent steigern können, seit Viagra auf dem Markt ist. Das können wir nicht hinnehmen.

Würde Viagra nur 2,50 Mark kosten, wäre es kein Thema?

Möglicherweise hätten wir uns anders verhalten. Weil das Mittel aber so teuer ist, liegt die Gefahr nahe, daß Leute, die nicht bereit sind, es selber zu zahlen, alles tun werden, um es auf Kosten der Gemeinschaft zu bekommen.

Es kommen neue Mittel wie der Fetthemmer Xenical auf den Markt. Auch die sind hochwirksam. Werden Sie diese den Patienten auch vorenthalten mit der Begründung, sie seien zu teuer?

Das könnte sein. Bevor wir die Fetthemmer zulassen, müssen wir überlegen: Was sind sie wert im Gegensatz zum „Friß die Hälfte“- Prinzip? Ich wünsche mir, daß man bei neuen Medikamenten mit den Firmen gemeinsam einen Indikationskatalog erarbeitet. Pfizer ließ uns mitteilen, wenn ihr Viagra nicht für erstattungsfähig erklärt, werden sich Selbsthilfegruppen gründen und Druck machen. Das lassen wir nicht mit uns machen.

Deswegen blockieren Sie neue Arzneien?

Ich fordere, daß für neue Medikamente richtige Preisverhandlungen geführt werden, so wie das in Kliniken üblich ist. Momentan schluckt der niedergelassene Arzt doch jeden Medikamentenpreis, der ihm vorgegeben wird. Der Arzt trägt aber gleichzeitig ein hohes Risiko. Verschreibt er mehr, als sein Arzneimittelbudget hergibt, muß er damit rechnen, in Regreß genommen zu werden. In dieser Situation kommt ein Medikament auf den Markt, bei dem vier Pillen soviel kosten, wie das Arzneimittel-Budget pro Patient im Monat vorsieht.

Viagra ist preiswerter als andere Potenzmittel. Mit Xenical und Reductil ließe sich das Risiko von Folgekrankheiten der Fettleibigkeit senken. Die neuen Mittel könnten sich also als Kostenkiller erweisen...

Die Pharmaindustrie behauptet immer, Kosten im Gesundheitsbereich zu senken. Aber was nützt es mir als einfachem Arzt, wenn ich durch ein Medikament Krankenhauskosten spare. Dieses eingesparte Geld kommt mir in meinem Budget doch nicht zugute.

Die gesetzliche Krankenversicherung soll also nur noch eine Grundversorgung anbieten?

Im Augenblick kann eine sinnvolle Therapie noch von der gesetzlichen Krankenkasse gedeckt werden. Viagra und die anderen Mittel gehören nicht dazu. Ich will keine Zweiklassentherapie.

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