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Skulpturen ohne Unterleiber

Doppelt abgesteppt und mehrfach gesäumt: Auch im deutschsprachigen Raum ist es populär geworden, über Mode intellektuell zu sprechen. Ulf Poschardt hat darin unter dem Titel „Anpassen“ den voluminösesten Versuch unternommen. Eine verbraucherorientierte Kritik  ■ von Anke Westphal

Mode galt lange als die Spiegelung einer Epoche. Durch Kleidung ließ sich nicht nur die gesellschaftliche Stellung ihrer Träger ausdrücken, vielmehr waren sie durch die Wahl ihrer Textilien auch bestens erkennbar. Spitzen, Samt und Seide blieben so, zum Beispiel, lange der herrschenden Klasse vorbehalten.

Seit diese Widerspiegelungsfunktion zur Debatte steht, weil durch Mode eben nicht mehr eindeutig die gesellschaftliche Ordnung identifiziert werden kann, ist es auch schwieriger geworden, über Mode zu schreiben. Ulf Poschardt, Chefredakteur des Magazins der Süddeutschen Zeitung und Philosoph, macht sich seit vielen Jahren trotzdem an diese Arbeit. So ist er nicht einfach der Autor des brikettschweren Buches „Anpassen“, vielmehr hat er mit dieser Arbeit versucht, die Mode aus ihrem Dasein als dekoratives Teetischchenbuch oder verkaufsfördernde Hochglanzillustrierte zu erlösen. Poschardt gilt als einer der Tonangeber in dieser Übung, die man als Intellektualisierung der Mode bezeichnen kann.

Er beginnt seine dreigeteilten Ausführungen denn auch mit den „Ursprungsformationen bürgerlicher Identität (...) im Spannungsfeld zwischen Revolution und Anpassung bis zum Ende des 19.Jahrhunderts“, fährt mit den „anti-bürgerlichen Entwürfen und deren modische Praxis“ fort und endet in der „unmittelbaren Gegenwart“. Ein weiter Weg, auf dem, so befindet der Autor, nicht schlicht Garderoben, sondern Begriffen wie „Geschmack“, „Stil“, „Askese“ und „Luxus“ nachgespürt sein will. Den Titel „Anpassen“ – in der Schneiderei meint dieses Wort schlicht die Überpüfung des Produkts am Modell – benutzt Poschardt in seiner Begrifflichkeit als grundlegende soziohistorische Metapher.

Das Buch wurde mit Ambitionen geschrieben, ob auch mit Leidenschaft, ist nicht mehr recht feststellbar. Poschardts Ausführungen sind, um im Jargon zu bleiben, nicht nur doppelt gesteppt, sondern auch mehrfach umsäumt. Was wurde von ihm nicht alles ausgewertet und zitiert: Romane, Dramen, Bilder, Shows. Kant, Foucault und Adorno; Balzac, Schiller & Kollegen.

Die Ernsthaftigkeit Poschardts hinsichtlich soziologischer, kulturgeschichtlicher und begrifflicher Zusammenhänge erdrückt in ihrer Wucht schier alles Vage und Unkalkulierbare, das Mode spannend werden läßt. Was läßt sich mit Mode anfangen, außer daß man sich hin und wieder anziehen muß und mal ein paar attraktive Magazine durchblättert?

In den Niederungen des Alltags verhält es sich doch so: Nichtsahnend steht der Mensch morgens auf – und begeht vor dem Kleiderschrank womöglich gleich die ersten Fehler des Tages. Entscheidet man sich für Sichtbar- oder Unsichtbarkeit? Will man sich verstecken, erfinden, schützen? Wenn man sich unpassend oder unzweckmäßig anzieht, weil man sich gerade haßt oder einfach verschätzt hat, ist der Tag verdorben.

Was ist – für wen – zweckmäßig, passend und angemessen? Welche Dichterin hat doch gleich geschrieben, daß große Gedanken nur schlecht reifen, wenn das Kleid kneift? (Charlotte Brontä, Marie von Ebner-Eschenbach?) Überhaupt: Wie frei darf ein Körper sein?

Bei Ulf Poschardt sind dies nur Randgedanken. Er zielt auf die Nähe von Mode und Kunst, obwohl man, à la Poschardt argumentiert, Dichotomien auch in der Postpostmoderne nicht mehr gern trägt. Oder für uns Hausfrauen: Daß Mode und Kunst einander bedingen, wie der Autor länglich zu beweisen sucht, ist kaum mehr als ein Kalauer. Die Beteuerung des Kunstcharakters von Mode allein klingt deshalb wie eine Entschuldigung dafür, einem so (halb-?)seidenen Gegenstand dürre fünfhundert Seiten zu widmen.

Für eine Stoffeinkäuferin oder Schneiderin sind diese Gedanken jedenfalls nicht gemacht. Was der Autor nicht schreibt und was ihn offenkundig nicht interessiert, ist das Einfache: Daß Mode in erster Linie etwas mit Ökonomie zu tun hat. Die labyrinthischen sozialen Subsysteme der Gegenwart, das Wissen um die geheimen Zeichen, die die Klamotten beinhalten, können diesen Umstand verschleiern, aber nicht aufheben. Nach statistischen Erhebungen der Condé-Nast-Gruppe, die unter anderem Vanity Fair, Vogue, und Allure herausgibt, ist der Edel-Preppy-Schneider Ralph Lauren mit sechs Milliarden (!) Dollar Umsatz der erfolgreichste Designer der Welt. Gefolgt wird Lauren von Calvin Klein (4,4 Milliarden) und Tommy Hilfiger. Zahlen, in denen auch die Gehälter schlechtbezahlter Sekretärinnen aufgehen, die sich hin und wieder eine CK-Jeans oder ein schickes Parfüm leisten.

Somit ist Poschardts Modegeschichte ganz Überbau ohne Basis, „soziale Skulptur“ ohne Unterleib. Dabei haben Zahlen auch Folgen. Sieht man nicht, wie John Galliano bei Dior, im Speckgürtel der Mode, verdummt? Was wird aus dem Dekonstruktivisten Martin Margiela bei Hermès werden, wenn es an die Bilanzen geht? Identität allein genügt auf der Langstrecke nicht.

Eine Dior-Show kostet um die 300.000 Dollar (Miete, Blumen, Tischdekos, Gagen der Schauspieler, Einladungen, Beleuchtung, Sitzmöbel etc.), die Kleider nicht eingerechnet. Apropos Einladungen – ist es nicht so, daß die Utopie einer undogmatischen Kommunikationsfreiheit durch Vernetzung, Globalisierung eher hintertrieben wird? Kommunikationsfreiheit benötigt Distanz – die Kommunikationsfreiheit der Mode die Distanz zu ihrem Gegenstand – dem Körper.

Noch ein weites Feld, zu dem Poschardt selbst unzulässig viel Distanz wahrt. Als Anna Wintour diesen Frühling von den Herbstschauen zur Prêt- à-porter zurückkehrte, wurde ihr die kulturelle Kluft zwischen den verschiedenen Kulturen so klar bewußt wie selten in ihrer langjährigen Amtszeit als Chefin der amerikanischen Vogue. Zwei weitere amerikanische Designer – Michael Kors, Marc Jacobs – waren gerade von französischen Häusern eingekauft worden: Kors von Céline und Jacobs von Louis Vuitton. Hier saßen die Franzosen, „verwirrt von der Frische, Einfachheit und Schönheit“ der amerikanischen Mode; da saß die Amerikanerin Wintour und war ebenso verwirrt – von der „altmodischen, schäbig-übertriebenen Komplexität vieler französischer Designer“. „Vielleicht“, so schrieb Wintour in einer Anwandlung von Selbstironie, „hatte ich ja nur Heimweh.“ Diese Anekdote nur als Illustration für die beharrliche Extravaganz von Modeeinflüssen.

Überhaupt muß man sich fragen: Soll die Mode überhaupt erlöst werden? Doch höchstens von Dünkelhaftigkeit. Noch deutlicher vermißt man in „Anpassen“ einen anderen Aspekt von Mode. Kleider, Schuhe, Hüte etc. pp. werden nun einmal ganz schnöde und handwerklich angefertigt – via Techniken, Gerätschaften, Maschinen. Wer Mode allein durch Ideen- und Kulturgeschichte erklärt, überschätzt sie genauso, wie er sie unterschätzt. Vielleicht sollte man mal einen Pullover gestrickt haben, durch die Stoffabteilungen der Warenhäuser gezogen sein und sich bei der Schneiderin in unzähligen Anproben demütigen und in die Hüften pieken lassen, um die Angelegenheit etwas pragmatischer zu sehen als Poschardt – am besten als einen Stoff-Wechsel.

Poschardt wollte in „das Innere des Systems (der Mode) vorstoßen“, doch was ist das Innere anderes als Struktur, Machart, Material, Methode. Wenn aber der Gegenstand von Mode der Körper ist, dann wird die Mode zum Body project. Zu den komischeren Alltagserfahrungen gehört doch, daß man sich beim Blick in den eigenen Kleiderschrank fragt, welche unbekannte Person die darin befindliche Kleidung eigentlich angeschafft hat. Die Anstrengung der Selbstdefinition durch Kleidung muß aber sein. Menschen wollen modisch scheitern – um sich wenigstens gelegentlich auf der Höhe der Zeit zu fühlen. „Ich würde jeden verhaften, der behauptet, daß Mode nicht wichtig ist“, sagt Carrie Donovan, eine der wunderbarsten Mode-Meinungsmacherinnen des amerikanischen Journalismus. „Wir alle müssen uns morgens anziehen, und es ist unsere verdammte Bürgerpflicht, bestmöglichst auszusehen.“

Donovan hat aber – seit ihrer Jugend blind wie ein Maulwurf – eine riesige schwarzgerahmte Brille zu ihrem wichtigsten Accessoire erhoben, mithin den gleichen Defekt wie Nana Mouskouri zum distinktiven Markenzeichen ihrer selbst erhoben. Ja, was hat uns das nun zu bedeuten? Mode als verwischtes System der feinen Unterschiede? Oder als Angebot zur Demokratie? Zur unmittelbaren Gegenwart jedenfalls meint Poschardt nur überkandidelt: „Bürgerliche und antibürgerliche Entwürfe fallen zusammen und lösen sich in einer Diffusion auf, deren Identitäten komplexer und ungreifbarer sind, als es eine historische Wertung und Betrachtung vielleicht wünschen lassen.“

Ist das wichtig zu wissen? Was Susan Faludi einst auf wenigen Seiten in ihrem Buch „Backlash“ zum gesellschaftlichen Kontext von Mode geschrieben hat, verrät mehr über Mode als Poschardts „Anpassen“. Schmale fließende Formen in der Mode, eine explizite Ästhetisierung, ein Herausstellen der – behaupteten – Schwäche des weiblichen Körpers, assoziierte sie einmal mit der sich ändernden Stellung der Frauen in der Arbeitswelt.

Immerhin: Poschardt schließt messerscharf, daß sich die Praxis des Ein- und Ausschließens (von Einzelnen und Gruppen) durch – mehr oder weniger streng abgegrenzte – Modesoziotope zwar verschoben, aber nicht grundlegend verändert hat. Wo der Mann recht hat, hat er recht. War es nicht Jean Cocteau, der einfach beschloß, man müsse der Mode alles verzeihen, weil sie so jung stirbt?

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