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Innovative Spinnerei

■ Die Syker Modedesignerin Alexandra Nicoley gewann einen Innovationspreis für die Erfindung einer zweiten, besseren Haut

Mailand, Paris, Rom, Moon City, Mars Monster Village – und Syke, ja, vor allem Syke: Hochburgen der Haute Couture, nicht heute, aber im Jahr 2023. Oder 2047. Oder 2073, ganz bestimmt. Der Anfang ist jedenfalls gemacht. Denn Alexandra Nicoley aus Syke wurde der zweite „Innovatonspreis“ des „Klaus Steilmann Instituts“ (KSI) zugedacht.

Der Innovationspreis des KSI? Was ist das? Unter dem Dach von Steilmanns großem Textilunternehmen (unter dem auch die Öko-Moden der Vorzeige-Innovatorin Britta Steilmann wachsen und gedeihen), kümmert sich ein „Institut für Innovation und Umwelt“ um die Entwicklung neuer Synthetikfasern. Zum Beispiel. Oder um abfallvermeidende Produktion. Oder eben um die Vergabe des Innovationspreises für Moden.

Und Alexandra Nicoley, die 25jährige Studentin des Studiengangs Mode/Designinformatik an der FH Hannover hat also den zweiten Preis gewonnen. Weil sie macht, wovon Managementführer ohne Ende quasseln, ohne zu wissen, was es ist: Visionen entwickeln. Einfach so.

Ihre Erkenntnisstrategie beruht halb auf Mut, halb auf kalkulierter Naivität: „Sich in aller Ruhe ausspinnen; ganz weitweg gehen von der Gegenwart – und dann Stück für Stück nachprüfen, was verwirklichbar ist.“ Endlich mal wieder jemand, der nicht dem Machbaren hinterherhechelt, sondern sich des Wünschbaren annimmt.

Die prämierte Kollektion ist in der Phase des Ausspinnens zu lokalisieren. Herrschende Trends wie Cyberspace, Gentech und künstliche Intelligenz werden hochgerechnet ins neue Jahrtausend. Die Grenzen zwischen Biologie und Technik, Natur- und Kunsthaut verschwimmen.

Der Fantasie-Stoff „Dermelon“ soll einmal die Schwachstellen des elendigen Mängelwesens Mensch kompensieren. Der Erdbewohner der Zukunft friert oder schwitzt? Kein Problem, sogenannte „Sensibilatoren“ werden das Defizit blitzschnell erkennen und für Wärmezu- oder -abfuhr sorgen. Teure Raumheizungssysteme, die unsere Umwelt verärgern, würden somit hinfällig. Außerdem wird Dermelon unsere spröde, faltige Haut automatisch mit Pflegestoffen versorgen. Auf das wechselseitige Sonnenmilchcremen im Sommer wird man allerdings verzichten müssen. – Jeder Fortschritt hat Nachteile.

Aber wird es nicht auch gewichtigere Einbußen geben? Werden wir ein kleines Heizkraftwerk um den Rücken schnallen müssen, Cremeflaschen um unsere Hälse baumeln lassen? Natürlich nicht. Alexandra Nicoley setzt auf die relativ neue Wissenschaft „Bionik“, die Übertragung von pflanzlichen und tierischen Mechanismen auf den Menschen.

Weiterentwicklungen tierischer Saugnäpfe könnten dem Menschen beim Festhalten beistehen, zum Beispiel den Fensterputzern, die es leider auch im 21. Jahrhunderts noch brauchen werden. Winzige Analysatoren könnten die Umgebung des Kleidungsträgers auf giftige oder unbekannte Stoffe hin untersuchen. Natürlich ist Nicoley heimliche Hegelianerin, getrieben von der schönen Hoffnung, daß just jene Technik, die uns so zerstörerisch und schmerzvoll vom Busen der Natur fortriß, irgendwann einmal – auf einer höheren Ebene – wieder in deren Arme zurücktreiben wird.

Weil es Dermelon noch nicht gibt, simuliert Nicoley es mit Hilfe von Latex. In einem Maskenbild-nerkurs für enterpriseartiges Fantasydesign lernte sie es, sieben, acht Schichten von Gummimilch übereinanderzutragen bis eine Struktur entsteht irgendwo zwischen Fasching und Alien. „Manche dachten dabei an Rehrücken, andere an Hoden“, schelmt Nicoley. Immerhin würde dieser aparten Schrumpelstruktur nicht das Schicksal von Goretex oder Sympatex widerfahren: Abgeschoben werden in die Sport-und Anglerabteilungen der Bekleidungshäuser.

Den ersten Steilmann-Preis enhielt übrigens die Hannoveranerin Dagmar Schiller für realisierbarere Ideen. Kleine Kügelchen im Rückenteil der Kleidung sollen bei gestreßten Menschen für Entspannung durch Massage sorgen.

Da Alexandra Nicoley die Verwirklichung ihrer Visionen vielleicht nicht mehr erleben wird, will sie in näherer Zukunft schlicht und einfach Mode entwerfen. In postmoderner Offenheit findet sie Gefallen an klassischen Schnitten Jil Sanders aber auch an experimentierfreudigen belgischen Modemachern. Gerade den Deutschen aber, meint die sympathische Frau, täte ein bißchen mehr Mut zum Eigensinn gut anstehen. Sie selbst trägt zur Zeit gerne einen froschgrünen Hosenanzug mit Orangenknöpfen; klassischer Schnitt. Den Körper erwärmen tut der noch nicht, vielleicht aber die Fantasie. bk

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